Schweigfeinstill
Arbeitszimmer. Es wurde dunkel. Verdammter Winter. Die Nacht verschluckte mein Auto und den Schuppen. Hätte ich an jenem Abend geahnt, was mir bevorstand, hätte ich … ja, was? Meine Sünden bereut? Nein, vielleicht eine Zigarette geraucht. Aber noch befand ich mich in einer Phase, in der es ausreichte, das Licht anzuschalten. Ich ging in die Diele und drückte den Schalter für die Außenbeleuchtung. Schon besser. Ich brachte zwei Räucherstäbchen zum Glimmen und schwenkte sie einige Male hin und her. Als Sandelholzduft durch das Haus waberte, befreite ich den silbernen Fujitsu Siemens Laptop aus der Schultertasche und begann zu schreiben.
32.
»Und was wollen Sie noch?« Carlo Fidelios Hände wirbelten den Shaker vor Neros Gesicht herum.
Nero sah zu, wie der Barkeeper Tabasco, Worcestersauce, Pfeffer und Selleriesalz in das Getränk gab und erneut schüttelte. Leise Musik tröpfelte aus den Lautsprechern. Unterwegs von München nach Ohlkirchen hatte Mona Beck zurückgerufen. Das Gespräch erbrachte nichts Substantielles. Es verstärkte nur Neros Eindruck von Carlo Fidelio alias Karl Schöll. Nichtsnutz. Großmaul. Macho.
»Wir brauchen Sie als Zeugen«, sagte Nero jetzt. »Es geht um Bertram Kugler.«
»Den Knallkopf, der Kea …«
»… Laverde bis in ihr Haus gefolgt ist und ihr dort ihre Arbeitsunterlagen gestohlen hat, genau. Frau Laverde ist eine Freundin von Ihnen?«
Carlo Fidelio seihte den Cocktail in ein Longdrinkglas und steckte einen Stangensellerie als Stirer hinein.
»Bitte. Eine Virgin Mary. Bloody Mary ohne Alkohol. Die reinste Unschuld.«
Nero nahm das Glas entgegen.
»Kea und ich kennen uns, seit sie im Sommer das Haus gekauft hat. Sie kommt gerne zu uns in den Club.« Carlo begann den nächsten Drink zu mixen.
»Für einen Mittwochabend ist ganz schön was los«, bemerkte Nero.
»Donnerstag haben wir Ruhetag.«
Eiswürfel klirrten. Nero Keller musterte die braun gekachelte Wand hinter der Bar. Die Spiegel hinter den gläsernen Boards, auf denen unzählige Flaschen auf ihren Einsatz warteten. Die großformatigen Fotos von Havanna an den Wänden.
»Wir sind bekannt für unsere Cocktails und unsere Musik. Sie mögen das Lokal kitschig finden. Zu bunt, zu schrill, zu chaotisch. Aber wir spielen hier die neueste Musik aus Lateinamerika, vor allem aus Kuba. Richtig heiß wird es erst später am Abend.«
»Sie selbst …«
»Ich komme nicht aus Kuba, nein.« Carlos Gesicht wurde eine Spur verschlossener. »Meine Mutter stammt aus Eritrea. Sonst noch Fragen?«
»Ich wollte eigentlich fragen, ob Sie selbst einen bestimmten Drink bevorzugen.«
Carlos Augen funkelten.
»Shirley Temple. Gingerale, Grenadine, Maraschinokirschen. So alkoholfrei wie Ihrer. Hier draußen ist man verdammt noch mal auf das Auto angewiesen.« Er füllte zwei Shotgläser mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit.
»Was ist das?«
»Kahlúa. Kaffeelikör. Man braucht eine gewisse Fingerfertigkeit«, Carlo hielt einen Becher Sahne in der Hand, »sonst vermischen sich die beiden Schichten.« Behutsam ließ er Sahne über den Rücken eines Teelöffels in die Gläser tröpfeln.
Nero sah zu, wie sich das Piranha füllte. Es kamen Pärchen, zwei Männer, die sichtlich nicht zusammengehörten, und ein Grüppchen von drei Frauen, die sich vergnügt einen Tisch suchten und zu Carlo herüberwinkten.
»Das Zeug heißt Sombrero. Wäre nicht mein Geschmack, aber manche mögen es«, kommentierte Carlo. Der Kellner balancierte das Tablett mit den Drinks vorsichtig an einen Tisch.
»Wer hat Frau Laverde heimgefahren?«
»Ihre Freundin. Juliane Lompart. Die Sozialistin. Juliane trinkt bei uns ein Glas trockenen Rotwein und den Rest des Abends Mineralwasser mit Eis und Zitrone. Sie brauchen also keine Angst haben um K… Frau Laverde.«
Nero hörte die Anzüglichkeit in Carlos Stimme sehr genau.
»Wann?«
»Habe ich Ihnen das nicht längst gesagt?«
»Wann.«
Der Kellner unterbrach sie mit Bestellungen, sah Nero neugierig an und drehte die Musik eine Spur lauter.
»Zwischen drei und halb vier. Wir saßen noch eine Weile zusammen. Kea, ich, Juliane, Martin.« Er wies zu dem Kellner. »Dann brachen Juliane und Kea gemeinsam auf.«
Nero widerstand der Versuchung, mitzuschreiben. Er hatte sich diese Informationen längst bei der ersten Vernehmung notiert, aber in seinem Kopf entstand trotzdem kein Bild.
»Wo haben Frau Lompart und Frau Laverde gesessen?«
»Uff, Sie fragen mich was … zuerst dort, wo nun der einzelne
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