Schweigfeinstill
klumpig.
»Ach, Verzeihung. Ich habe Sie verwechselt.« Die Frau kniff die Augen zusammen. Sie schien kurzsichtig. »Ich dachte, Sie seien die Frau, die die Gräber betreut.«
»Ich hatte eine … Panne.« Mein Arm machte eine fahrige Bewegung in die Nacht hinaus. »Wissen Sie, ob es hier im Dorf eine Pension gibt?«
»Hier?« Die Frau lachte auf. »Nein. Ich kann Sie mitnehmen. Ich fahre nach Rosenheim.«
»Wie weit ist das noch?«
»Zehn Kilometer.«
Ich konnte mein Glück kaum fassen. In Rosenheim würde ich mich zum Bahnhof durchschlagen und den nächsten Zug nach München nehmen. Wenn nicht allzu viel schiefging, würde ich mit der U-Bahn nach Bogenhausen fahren, meinen Alfa aus dem Schnee buddeln und heimfahren. Und wenn das nicht klappte, gab es immer noch ein geheiztes Zimmer in Schwabing.
»O. k. Gern.«
Ich folgte der Frau über den verwehten Hauptweg des Friedhofes zum Ausgang. Ein Fiat Panda parkte neben der Mauer.
»Die Kleinen haben Allradantrieb. Man möchte es nicht glauben«, sagte die Frau und zog die Kapuze vom Kopf, während sie aufschloss. Notdürftig klopfte ich mir den Schnee von den Klamotten und ließ mich mit einem Seufzer auf den Beifahrersitz sinken.
»Ich habe heute meine Mutter beerdigt.« Sie steckte den Schlüssel in die Zündung. »Entschuldigen Sie. Ich bin ganz durcheinander. Ich heiße Martina Hildebrand.«
»Kea Laverde. Mein Beileid.«
»Danke.« Sie startete den Motor. Sein beruhigendes Schnurren zu hören, trieb mir die Tränen in die Augen. »Sie wollte unbedingt hier draußen begraben werden. Was haben wir auf sie eingeredet. Also ich und meine Geschwister. Aber ich habe Mama verstanden. Hier war sie glücklich verliebt. In einen Bauern. Der war verheiratet. Starb und wurde hier beerdigt. Also war es ihr letzter Wunsch, ihm wenigstens im Tod nahe zu sein.« Sie fuhr an. Mit einem Ruck löste sich das kleine Auto aus dem verwehten Schnee. »Ich bin oft mit Mama hierher gekommen. Im Sommer, versteht sich. Die Alpenkette und all das – idyllisch.« Sie drehte am Radio. »Und ausgerechnet heute, wenn wir Mama beerdigen, schneit es wie verrückt. Sie hätten das sehen sollen! Die Grube war beinahe zugeschneit, als sie den Sarg hinunterließen. Wie sie das Loch überhaupt ausheben konnten, ist mir ein Rätsel.« Sie zündete sich eine Zigarette an. »Möchten Sie?«
Ich schüttelte den Kopf. Ihr Redeschwall schwächte meine letzten Reserven. Das Radio spielte scheußliche Musik.
»Und Sie? Was treibt Sie in diese Einsamkeit?«
»Ich hatte beruflich zu tun.«
»Hier?«
Ich nickte. Es konnte nicht schaden, von meinem Beruf zu erzählen. Immerhin würde ich nach Andys Autobiografie ein Anschlussprojekt brauchen.
»Ich bin Ghostwriterin. Ich habe einen Kunden besucht.«
»Wow!« Die Scheiben beschlugen. Martina Hildebrand öffnete das Fenster einen Spalt. Ich fror zwar wie ein Schneider, bekleidete aber gerade nicht die Rolle von jemandem, der sich beschweren durfte.
»Klingt interessant. Sicherlich sprechen Sie nicht über Ihre Kunden.«
»Nein.«
»Verständlich. Finde ich Sie im Internet?«
»Aber sicher.« Ich buchstabierte ihr meinen Namen. »Meine Spezialität sind Ratgeber.«
»Ich wüsste ein Thema: Wie ich erfolgreich eine Beerdigung organisiere. Sehen Sie Publikationsmöglichkeiten?«
Bevor ich antworten konnte, ertönte der Verkehrsjingle von Bayern 3. Martina drehte die Lautstärke hoch.
›Achtung Autofahrer. Wegen des heftigen Wintereinbruchs in Oberbayern kommt es auf den Fernstraßen zu zahlreichen Behinderungen.‹
»Dazu brauche ich kein Radio, um das mitzukriegen«, seufzte Martina. »Meine Verwandten sind Gott sei Dank alle schon seit zwei Stunden sicher in ihren Hotels angekommen. Ich wollte nur noch mal auf den Friedhof. Wegen … kennen Sie das? Das Bedürfnis, sich zu verabschieden, ganz allein? Weil die Toten dann näher scheinen?«
Ich murmelte eine zerstreute Zustimmung. Die Beerdigung meines Vaters kam mir in den Sinn. Ein kalter Herbsttag, nasses Laub, auf dem wir ausrutschten, während wir im Regen zum Grab hasteten.
›Auf der A 8 Salzburg Richtung München kam es zwischen dem Dreieck Inntal und Irschenberg zu zahlreichen Unfällen. Zwischen Weyarn und Holzkirchen Stau. Im weiteren Verlauf der A 8 Stauungen und zähfließender Verlehr, vor dem Kreuz München/Brunntal kam der Verkehr zum Erliegen. Ortskundige werden dringend gebeten, die Autobahn zu meiden. In der Gegenrichtung …‹
Die mechanisch abgespulten
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