Schweigfeinstill
stehen und ging hinein. Eine ältere Dame mit leuchtend kupferrotem Haar stürmte aus dem Nebenraum. Aber sie lief nicht auf mich zu, sondern auf Keller.
»Nero! Ich wusste gar nicht, dass du kommst! Sind deine Sachen schon oben?« Ich drehte mich um und erhaschte Neros Blick, als er der Dame ein Küsschen auf die linke und eines auf die rechte Wange hauchte. »Aber du solltest mir doch Bescheid sagen!«
»Ich habe eine Kundin mitgebracht, Tiziana.«
Die Buchhändlerin wandte sich mir zu.
»Das ist aber schön. Was kann ich für Sie tun, meine Liebe?«
Ihre Warmherzigkeit überwältigte mich. Ich schluckte und sagte: »Ich suche ein Weihnachtsgeschenk für eine Freundin. Einen Don Camillo-Film. Es sollte der letzte in der Reihe sein, in dem Don Camillo Peppone in die Sowjetunion begleitet.«
Keller glotzte mich an wie ein Mondkalb.
»Habe ich da. VHS oder DVD?« Ihr italienischer Akzent streute viele Vokale zwischen die Konsonanten in den Wörtern.
»DVD.«
Sie reichte mir eine Hülle.
»Hier können Sie wählen zwischen dem italienischen Originalton, der deutschen Synchronisation und dem italienischen Original mit deutschen Untertiteln.«
»Perfekt. Nehme ich.«
»Darf ich Ihnen den Film als Geschenk einpacken?«
Ich begegnete Kellers Blick. Er starrte mich immer noch an. Wahrscheinlich zweifelte er an meinem Geschmack. Er war wohl einer, der sich schwermütige französische Filme kaufte, in denen es ohne Unterlass regnete und Männer mit Fluppen im Mundwinkel durch Pariser Pfützen schlenderten.
»Gern.«
Tiziana wickelte die DVD in grün-weiß-rotes Glanzpapier. Keller hatte immer noch nichts gesagt.
»Sie müssen wissen, Herr Keller ist ein alter Freund der Familie«, plauderte Tiziana los. »Und er zieht bei uns ein. Also, mein Mann und ich, wir wohnen ja nicht hier, aber ich bin jeden Tag in der Buchhandlung, sodass … naja. Mein Mann jedenfalls hat die Sache mit der Maklerin in die Wege geleitet.« Sie nahm eine Schere und kräuselte das Geschenkband. »So, ich hoffe, Ihrer Freundin bereitet dieser Film Freude.«
»Unbedingt«, sagte ich, während ich ihr das Geld reichte.
»Ich muss auch los, Tiziana«, sagte Keller. »Die Möbelpacker kommen. Ich melde mich.«
Sie sah enttäuscht aus, als Nero hinter mir auf die Straße trat.
Wir gingen einvernehmlich ein paar Schritte, bis wir von der Buchhandlung aus nicht mehr zu sehen waren.
»Was machen Sie hier?«, fauchte Nero mich an.
»Ups? Weihnachtsgeschenk?«
»Machen Sie mir doch nichts vor. Sie sind doch nicht von Rosenheim nach München und direkt nach Schwabing gefahren, um einen«, er pausierte, »Don Camillo-Film zu kaufen.«
Ich stemmte die Arme in die Hüften. »Und Sie kriegen die Krise, weil Gina Steinfelder Ihnen die Wohnung vermacht hat.«
»Andy Steinfelder ist kein Exkollege von Ihnen.«
»Nein. Ich bin seine Ghostwriterin. Zufrieden?«
»Das weiß ich längst.«
»Schön für Sie. Behalten Sie es für sich. Es kommt nicht gut, wenn ein Ghost herumerzählt, für wen er arbeitet.«
»Sie.«
»Was?«
»Für wen sie arbeitet. Die Ghostwriter in .«
»Das sind Nebenschauplätze!«
»Keine Feministin?«
In meinem Kopf brauten sich dunkle Wolken zusammen. »Es ist ein Irrtum, zu meinen, wenn wir feminine Endungen an die Wörter hängen, hätten wir Frauen die Gleichberechtigung erreicht«, schrie ich Keller an. Feine Schneeflocken rieselten auf uns herab. Die Szenerie war wirklich französisches Kino. »Das muss ich Ihnen vielleicht weniger ausführlich erklären, als den Feministinnentussen da draußen.« Ich holte mit dem Arm aus und traf einen Typen an der Schulter, der an uns vorbei durch die Schneehaufen watete. Um Kellers Lippen zuckte es. »Ich gehe einen anderen Weg. Ich arbeite mich dorthin vor, wo ich sein will, und achte auf Professionalität, nicht auf …« Mir ging die Puste aus.
»Schon gut«, sagte Keller und griff nach meinem Arm. Ich schüttelte ihn ab.
»Warum haben Sie mich so angestarrt?«
»Ich frage mich, was Sie eigentlich treiben. Sie sind gestern in Rosenheim hängen geblieben. Was haben Sie da gemacht? Am Telefon waren Sie ziemlich zugeknöpft. Sie sind eine Frau des Wortes. Sie verstehen es, sich auszudrücken, und dabei das Verräterische wegzulassen!«
»Ich habe Ihnen nichts zu sagen.« Ich dachte daran, dass das Weglassen beim Schreiben eines Buches das Entscheidende war. Der Autor musste streichen, um die Essenz hervorzuheben. Ein einziger wunder Punkt war wichtiger als ein ganzer
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