Schweigfeinstill
Der kalt ist. So kalt, dass ihre Zähne aufeinanderschlagen. Nur manchmal friert sie nicht mehr, als hätte ihr Körper keine Kraft übrig. Sie hat keine Ahnung, wie spät es ist.
Der Kameramann grinst, als der Folterknecht hereinkommt. Valeska schreit auf, aber ihr Bewusstsein bemerkt kaum, dass sie schreit. Wozu auch. Niemand wird sie hier hören, und die Männer lachen verächtlich, wenn Valeska sich wehrt. Ja, Mädchen, gut so, Kleine, das wollen die Jungs da draußen sehen. Der Folterer hat einen dicken Bauch, der unter dem T-Shirt schwabbelt. Der Geifer läuft ihm übers Gesicht, wenn er Valeska anfasst.
»Nicht, bitte nicht«, flüstert Valeska. »Hört auf. Ich kann nicht mehr. Bitte.«
»Hab dich nicht so. Du wolltest Sex.« Der Mann zeigt ihr die neunschwänzige Peitsche.
»Nein!« Valeskas Schrei gellt ihr selbst in den Ohren. Der Mann schlägt zu. Auf die Brüste. Valeska wirft den Kopf hin und her. Reißt an den Fesseln. Sie spürt den Schmerz, bevor die Peitsche sie trifft. »Nein!«
Der Mann lacht. Er fährt mit der Peitsche sanft über ihren Körper. Gänsehaut bildet sich. Er schlägt ihr zwischen die Beine. Valeska keucht und verliert für Momente das Bewusstsein. Als sie zu sich kommt, den Kopf hebt, so weit es geht, sieht sie die Kabel.
»Nein! Hör auf. Mach mich los.« Sie wehrt sich. Sie tobt und kämpft gegen die Fesseln, obwohl sie weiß, dass es sinnlos ist. Noch vor wenigen Tagen hat sie es genossen. Jean hat ihr erklärt, dass enge Fesseln die Mädchen dazu bringen, sich wie irrsinnig zu wehren. Und damit ihre Lust nur noch steigern. Valeska wimmert, als der erste Schock sie trifft.
54.
Ich beschloss, im italienischen Buchladen in der Nordendstraße vorbeizugehen, um für Juliane die DVD ›Genosse Don Camillo‹ zu kaufen. Ein katholischer Priester in der ruhmreichen Sowjetunion, das würde ihre Weihnachtsfeiertage bestimmt zum Leuchten bringen. Ich lief nicht direkt dorthin, sondern probierte ein paar Umwege aus, nur um mir zu beweisen, dass Müller nicht mehr hinter mir her war. Bist du vom Pferd gefallen, Kea, steigst du am besten gleich wieder auf.
Ich hastete an Geschäften vorbei, ohne mich um die Auslagen zu kümmern. Meine Augen waren damit beschäftigt, Ecken und Winkel abzusuchen, jeden Schatten wahrzunehmen, der sich bewegte.
»Frau Laverde!«
Ich fuhr herum. Ein paar Schritte hinter mir stand Nero Keller, im Mantel, einen Schal um seinen Hals gewickelt. Ich musste an ihm vorbeigelaufen sein, ohne ihn zu bemerken. So viel zu meiner Wachsamkeit.
»Ach, grüß Gott«, sagte ich betreten.
»Was treibt Sie in die Großstadt?«
»Weihnachtsgeschenke. Ich wollte in den italienischen Buchladen, eine DVD für eine Freundin kaufen. Zweisprachig. Sie kann kein Italienisch.«
»Da marschieren Sie aber in die falsche Richtung«, bemerkte Nero.
»Mein Orientierungssinn ist nicht der Beste.«
»Ich ziehe dort ein.«
»In die Buchhandlung?«
»In das Haus. Zwei Etagen höher.«
Der Wind kam böig und zerzauste mein Haar. Mir war kalt. Ich hatte nichts dagegen, mit Keller zur Buchhandlung zu gehen.
»Haben Sie es eilig? Bei dem Stechschritt, mit dem Sie unterwegs sind …«
»Das liegt am Wetter.«
»Ja. Verdammte Kälte«, nickte Keller.
Wir trotteten nebeneinander her. Um mir nicht seine Ermahnungen anhören zu müssen, fing ich selber an. »Ich bin erst vor Kurzem in München angekommen. Ich hatte noch keine Zeit, mich bei Ihren Kollegen zu melden.«
» Es geht nur darum, dass Sie kurz vor dem Mord bei Steinfelder waren. Man wird sich für Ihre Kontakte zu ihm interessieren, und die Diskretion Ihres Berufsstandes wird Ihnen dabei nicht unbedingt helfen.« Er zögerte. »Es gibt ein Immobilienbüro Steinfelder …«
»Seine Frau«, entgegnete ich. »Sie ist die Geschäftsführerin.
Keller stutzte. »Verdammter Mist!«
»Wieso?«
»Ach, nichts!« Er beschleunigte. Wir stapften durch den Schneematsch, dass es nur so spritzte. Peinliche Stille machte sich breit. Ich hatte keinen Nerv, belanglos zu plaudern, während in meinem Inneren eine Menge passierte. Oft dachte ich, dass mein Erkenntnisstand, was die Geheimnisse des Lebens betraf, meinen Gewohnheiten schon weit voraus war. Ich spürte, was hier geschah, aber ich drängte es weg. Ich ahnte Kellers Gefühle, aber ich erklärte mich für nicht zuständig. Plötzlich blieb Keller stehen.
»Hier wären wir!« Er deutete auf die Schaufenster, in denen grün-weiß-roter Weihnachtsschmuck glitzerte.
Ich ließ ihn
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