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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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überzeugt, der habe gehofft, dass er mit seinen überdimensionierten Füßen ein paar Bälle mehr als ein anderes Kind stoppen könne. Baumer hatte diese Klassifizierung, selbst wenn sie vielleicht nur imaginiert war, schlecht vertragen. Ebenso verachtete er jede andere Unterscheidung aufgrund von Größe, Herkunft, Glauben oder Besitz – obwohl die natürlich weiterhin das Zusammenleben viel zu vieler Menschen bestimmten. Hier die Reichen, dort die Armen. Hier die Kinder vom Villenviertel mit dem Doktor als Vater. »Dort du, Andi. Steh da hin!« Einzig durch Leistung, hatten ihm seine protestantischen Eltern eingehämmert, konnte sich ein Andi hocharbeiten. So glaubte auch er zu lange dieser Illusion. Natürlich blieb die Schande der armen Geburt. Die klebte an ihm wie heißes Pech an der Haut. Wenn er redete, wie sein Vater redete, dann zeigte er sein Kainsmal der minderen Sprache, war Polier und nicht Architekt. Also sprach er nicht mehr. Dadurch verknöcherte die krummgequetschte Hirnwindung im Kopf umso mehr und blieb ewig ohne Heilung.
    Die Leute in der Schlange am Flughafenschalter vor Baumer bewegten sich vorwärts. Er schloss auf. Gerne hätte er aufgrund der doch schon beträchtlichen Hitze Adiletten getragen. Doch sein Stand war noch nicht sicher genug, und mit den flachen, aber stabilen Turnschuhen konnte er sich viel gefahrloser bewegen. Hätte man nur die großen Latschen und die weite Hose gesehen, man hätte geschlossen, dass hier ein Clown daherkommt. Sah man hingegen ins Gesicht dieser Person, sah man ein weniger fröhliches Wesen. Baumer fühlte sich wie erschlagen, war unruhig zugleich. Auch seine Begleitung machte keine besondere Figur. Sie hielt ein Taschentuch an ihre Nase und schnäuzte sich mit tränenden Augen.
    Anna weinte leise.
    Sagen tat sie nichts.
    Es war schon alles gesagt. Und alles gefragt. Ob er das ernst meine, dass er nach Hause wolle? Ob er das wirklich, wirklich ernst meine?
    Baumer tat es unglaublich leid. Aber – nun ja – er meinte es ernst. Er meinte es ernst, weil die Arbeit eine zentrale Stütze in seinem Leben war. Auf diesen Halt zu verzichten, schien ihm unmöglich und die Vorstellung, es doch zu tun, erschreckte ihn.
    Erst hatte Anna gar nicht begriffen, dass ihr Partner nach Basel wollte, ja, dass er ganz einfach zurück nach Basel müsse. »Dein Fall? Wieso ist das dein Fall?«, hatte sie gezürnt, als sie noch im Hotel waren. Sie hätte Verständnis für ihren Partner gehabt, wenn er von einem gemeinsamen Nachtessen hätte aufstehen müssen, weil er Bereitschaftsdienst hatte und an einen Fall gerufen worden wäre. Aber hier, auf Kreta, mitten im Urlaub? Das konnte sie nicht nachvollziehen.
    Baumer hatte nichts zu erwidern gehabt – hatte nichts sagen können. Es tat ihm nur furchtbar leid.
    »Andi. Du bist beurlaubt. Wir machen hier gemeinsam Ferien.«
    »Ich muss zurück.«
    »Zurück? Was willst du denn da? Du bist doch …« Sie hatte abgebrochen und diesen Satz, den sie gedacht hatte, zum Glück noch rechtzeitig verschluckt. Dieses Du-bist-doch-ein-Krüppel.
    Baumer hatte keine Kraft für einen Streit gehabt. Alles, was er seiner Freundin hätte sagen können, hätte sie verletzt. Das wollte er nicht. Aber auch sich selbst wollte er nicht noch mehr verletzen. Er musste nach Basel zurück, denn er brauchte die Arbeit.
    Es war sein Job. Er wollte ihn machen, musste ihn machen, denn es war alles, was ihm geblieben war, seit Maja weg war. Daran änderte auch seine neue Freundschaft nichts. Die Beziehung zu Anna war einfach noch nicht stark genug.
    Dass seine Arbeit also auch eine Flucht darstellte, konnte er ihr gegenüber aber nicht zugeben. Sowieso flüchtete er nicht vor Anna. Sie war ihm in den wenigen Monaten ihrer Bekanntschaft durchaus lieb und teuer geworden. Doch der Stress der Ermittlungen half ihm vor seinen Erinnerungen an Maja zu flüchten, diesen stupiden sinnlosen Gedanken an die kleine Französin, seine ewige Geliebte, die er nicht loslassen konnte, nicht loslassen wollte – noch nicht.
    Die Frau, die jetzt an seiner Seite war, hatte instinktiv gespürt, was Andi gedacht hatte. Also waren ihr Tränen gekommen.
    Baumer hatte nicht weiter versucht, sie aufzumuntern. Sie sprachen nur noch wenig. Zwar konnte er Anna gut verstehen, aber er wurde immer wieder von Gedanken an den Mord in Basel in Anspruch genommen und er konnte sich daher kaum auf ihre Bedürfnisse konzentrieren.
    Am Morgen hatte er dann ein Taxi bestellt. An der Rezeption waren sie

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