Schweizer Ware
komme man ohne Schlüssel nicht hinein. Da müsse schon jemand in seiner Wohnung den Türdrücker betätigen.
»Gibt es eine Klinke oder einen Drehknopf?«, fragte Baumer, denn er wusste, dass an alten Eingangspforten außen manchmal nur ein handtellergroßer Metallknopf angebracht war. Damit konnte man ein Kettchen bewegen, das innen am Riegel zog und das Schloss dadurch öffnete. Wenn die Kette eingehängt war, konnte einer ins Haus, auch ohne dass ihm jemand aufdrückte.
Heinzmann bestätigte, dass es nur einen Drehknopf gab.
»War die Kette innen eingehängt?«, fragte Baumer.
»Ja, aber es ist sowieso egal. Die Tür ist nämlich nur angelehnt gewesen. Die Nachbarin hat heute lange im Vorgarten gearbeitet, musste immer hin und her.
»Die Tür stand also heute offen?«, fragte Baumer.
»Ganz genau. Die Nachbarin hat die schwergängige Tür nur angelehnt gelassen.«
»Keine Angst vor Einbrechern?«
»Ach, die Leute ticken immer noch wie vor 20 Jahren, als die Grenzen bewacht waren«, tat Heinzmann seine Meinung kund. »Die Leute denken, dass die Umgebung nahe der Rotbergerstraße doch ruhig sei. Na ja, bisher war’s ja so.«
Andreas Baumer sah den gemütlichen Stadtteil vor sich, in dem auch der berühmte Basler Zoo war. Es gab schöne Bürgerhäuser und viel Bausubstanz aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Viele architektonische Trouvaillen präsentierten den Passanten stolz ihre üppigen Ornamente, als wären es glitzernde Diamanten an einer Kette im Dekolleté einer Premierenbesucherin von »Don Giovanni«. Hier konnte man ruhig wohnen, wenn nicht gerade wieder ein wildes Tier aus dem Zoo ausgebüxt war. Einmal war ein Löwe ausgebrochen und streunte durch die Straßen. Er war aber ganz friedliebend und wahrscheinlich von seinem Leben im engen Gehege schon so verblödet gewesen, dass er ganz froh war, als ihn zwei Wärter baten, doch bitte seinen Kopf durch die Schlinge am Ende der Stange zu stecken, die sie ihm hinhielten. Friedlich war er danach von den Wärtern geführt zurück in seinen Käfig getrottet, als wäre er ein müder Sachbearbeiter der Post auf dem Weg zurück ins Büro, nachdem er die käsige Weihnachtsansprache vom Chef über sich hatte ergehen lassen müssen.
Ein anderes Mal war hingegen ein Schimpanse geflüchtet und hatte auf den Dächern der dem Zoo anliegenden Häuserzeile herumgetobt. Er narrte die ihn verfolgenden Wärter und sprang von Hausdach zu Hausdach zu einem Baum und zurück und wieder weiter über die Dächer. Ein Affe ist eben nicht dumm und hat einige Phantasie. Es hatte einige Stunden gedauert, bis Wärter mit Hilfe von Polizisten den Flüchtling eingekreist hatten und ihn mit einem Netz überlisten und einfangen konnten. Trotzdem hatten nicht wenige Leute Verletzungen davongetragen, denn der Schimpanse hatte mehrere seiner Häscher in die Arme gebissen und auch woandershin. Wenn man Intelligenz einsperrt, wird ein Affe eben auch nur zum Tier.
Baumer sah wieder das Haus an der Rotbergerstrasse straße vor sich. Die schwere Holztür; die vergitterten Scheiben; der Drehknopf um zu öffnen; das daran befestigte Gliederkettchen an der Innenseite, um den Riegel zu ziehen.
»Das Kettchen war beim Riegel eingehängt, als du ankamst?«, fragte er seinen Freund Heinzmann.
»Ja«, antwortete dieser.
Baumer ging ein Gedanke durch den Kopf.
Dann sagte er: »Nimm Fingerabdrücke!«
*
Früh am nächsten Morgen stand Baumer in einer kurzen Schlange vor einem Informationsschalter des Flughafens in Heraklion. Er stützte sich auf seine zwei Krücken. Sein rechtes Bein steckte in einer klobigen Schiene. Die reichte Baumer von der Hüfte bis unters Knie. Darüber trug er eine übergroße lange Trainingshose. Im Bund hatte er sie mit einem Bändel zusammengebunden, wo sie grobe Falten bildete. An den mächtigen Oberschenkeln spannte die Hose dennoch über der Schiene.
Der Kommissar schämte sich ein wenig über sein lumpiges Aussehen. Vor allem wollte er die Schöße seines edlen und teuren Baumwollhemdes – neben dem Espressotrinken eine der wenigen Leidenschaften des Kommissars – nicht in diese Hose stecken. Das Hemd hing also einfach lose herab, was den Eindruck eines Bettlers zusätzlich verstärkte. Die Füße wiederum, Baumers selbst ernannter Schwachpunkt, staken in übergroßen Turnschuhen.
Baumer hatte tatsächlich Riesenfüße. Daher hatte ihn der Juniorentrainer damals ins Tor gestellt. Zumindest hatte er sich das so ins Gehirn eingebrannt. Er war
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