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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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vorbeigerauscht und waren nicht einmal groß aufgehalten worden. Dem Besitzer war es sicherlich egal, ob sie blieben oder nicht. Das Zimmer war bezahlt. Er konnte es jetzt weitervermieten.
    So waren sie an den Flughafen in Heraklion gefahren. Beide in Trance. Andi, weil er an den Mord dachte. Anna, weil sie an Andi dachte und an ihre Beziehung. Als das Taxi am Abflugterminal anhielt, sackte es endlich in Annas Seele hinein. Andi war tatsächlich entschlossen abzufliegen.
    Eine lähmende Traurigkeit legte sich auf sie wie eine Marmorplatte auf ein Grab, und sie musste erneut weinen. Als sie dann am zentralen Infoschalter an die Reihe kamen – keiner der anderen Touristen hatte den an Krücken gehenden Baumer vorgelassen – hatte sich Anna gefasst. Sie blieb hinter Andi stehen, der sich mit den Unterarmen auf die hohe Balustrade am Schalter stützte. Sie hörte, wie er zur Hostess sagte, »Wir müssen nach Basel. So schnell als möglich.«
    Sofort blickte die Angestellte wieder nach unten und begann wild auf ihrer Tastatur zu tippen.
    Anna trat neben Baumer, sah die Frau am Ticketschalter, die aber nicht aufblickte. »Entschuldigung«, versuchte sie, sich bemerkbar zu machen.
    Die Frau tippte weiter.
    »Entschuldigung«, meldete sich Anna nochmals deutlich lauter. »Ich fliege nicht mit.«
    Die dunkelhaarige, akkurat geschminkte Hostess in der blauen Uniform mit rotem Schal blickte auf. »Gehören Sie nicht zusammen? Nur eine Person?« Dann senkte sie den Kopf wieder Richtung Monitor und suchte eine günstige Verbindung.
    Die blonde Anna drehte den Kopf vorsichtig und blickte von der Seite auf den Mann mit den kurzen Haaren. Sie hoffte, dass er sich zu ihr wenden würde. Dass er seinen Kopf zu ihr drehen würde. Dass er sie anschauen würde, dann vielleicht lächeln und sagen würde, dass alles nur ein Irrtum sei. Dass er einen Fehler gemacht hatte. Dass sie beide natürlich hierblieben. Anna dachte: »Baumi. Jetzt kannst du es noch sagen.«
    Doch Andreas Baumer drehte den Kopf nicht. Er stierte geradeaus nach vorne und musterte den neckischen roten Foulard, den die Angestellte um den Hals trug. Er konnte den Blick nicht von diesem Tuch lassen. Er dachte: »So ein Teil trug auch Helen Amadio-Meier. Sie trug es um ihren Kopf. Es war auch rot, aber es war aus Blut.«
    Anna sah, dass ihr vermeintlicher Freund bereits bei Helen Amadio-Meier war. Sie flehte Andi in Gedanken nochmals an, er möge doch bitte mit ihr hierbleiben.
    Doch Andi hörte sie nicht – konnte nicht hören. Er war zu weit weg.
    Anna seufzte und ihr Gesicht verlor jede Regung. Sie wusste, dass sie schön, nett, lebhaft, aufmerksam, lieb, nicht dumm war. Genug Männer hatten es ihr schon gesagt. Sie hatte alle Trümpfe in der Hand gehabt und hatte den Wettbewerb um Andreas Baumer doch verloren. Sie war keine Amadio, und sie war keine Maja. Sie war einfach Anna. Gegen zwei verklärte Frauen aufs Mal konnte sie nicht gewinnen.
    Anna wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. Ihre Lippen waren ein schmaler Strich. Dann atmete sie tief ein. Dann noch tiefer aus. Schließlich sagte sie zur Hostess: »Ja. Nur eine Person.«

4
    Heraklion-Frankfurt-Basel. Das war die Rückreiseroute für Andreas Baumer. Ab Kreta hatte er erst am späteren Nachmittag einen Flug mit einer Maschine der Air Berlin gehabt. Nach drei Stunden war er in Frankfurt angekommen. Dort musste er zwei weitere Stunden warten bis er endlich einen Airbus der Air France nach Basel-Mulhouse erwischt hatte.
    Baumer war die ganze Reise über unruhig, durcheinander. Kaum im Flugzeug, dachte er an Anna und machte sich Gedanken um sie. Zugleich konnte er es kaum erwarten, bis er wieder zu Hause war in seinem kleinen großen engen weiten Basel, mit Rhein, aber ohne See – dafür mit Mord.
    Die Flugreise war beschwerlich. Er biss die pochenden Schmerzen hinunter, die im Oberschenkel wieder aufgeflammt waren. War sein Knochen noch ganz? Hatte sich etwas verschoben? Er hatte kein Vertrauen mehr in sein Bein, hatte Angst, es sei nicht mehr intakt. Natürlich war noch alles beieinander. Das konnte auch er sich zusammenreimen. Der durchtrennte Knochen und die Knochensplitter waren in pingeliger Kleinarbeit von Albert Labhardt, dem Oberarzt der Chirurgie am Kantonsspital Basel, zusammengeleimt worden. Dann hatte er eine Metallschiene an den Knochen genagelt, um ihm zusätzlichen Halt zu geben. Es würde sicher halten. Das hatte ihm Dr. Labhardt versprochen, auch wenn er keine absolute Garantie gegeben

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