Schweizer Ware
sich nur die Zeit nehmen, um zuzuhören und zu schauen. Dann würde er alles erfahren, was er wissen musste.
*
Ein halbe Stunde später kam Andreas Baumer mit einem Taxi in der Rotbergerstraße an. Er bezahlte die übergewichtige Fahrerin und gab – wie immer – ein gutes Trinkgeld. Kurz danach stand er vor der Wohnung der Ermordeten. Er brach das neue Siegel an der Tür, in der das Schloss immer noch ausgerissen war, und schob sie auf. Er trat ein und begann seinen Freundschaftsbesuch.
Er schaute im Zimmer umher.Es sah noch gleich aus, wie das letzte Mal. Nichts war verändert worden. Den Teppich versuchte er möglichst nicht zu betrachten. »Es gab wenig Blut«, so hatte es Heinzmann zwar erzählt. So hatte es auch Dr. Regazzoni, der Gerichtsmediziner, festgestellt. Aber auch wenn es nur ein kleines Loch war, das sie in ihrem Nacken trug und auch wenn das Herz sofort zu schlagen aufgehört hatte, so war doch Blut herausgelaufen, das er nicht sehen mochte.
Baumer wartete auf eine Inspiration.
Sie kam nicht.
Also trat er zum Buffet, öffnete die Schubladen, durchstöberte sie. Er blätterte die Ordner durch. Es fiel ihm nichts Außergewöhnliches auf.
Erschöpft vom Stehen ließ er sich vorsichtig auf das moderne lederne Sofa fallen. Er war froh, dass er seine Beine ausstrecken konnte. Der rechte Oberschenkel schmerzte immer wieder einmal. Mittlerweile kamen die Schmerzen aber nicht mehr überraschend und pochend und – trotz herabgesetzter Dosis an Schmerzmitteln – nur noch undeutlich. Baumer spürte sie vor allem noch bei bestimmten, stark belastenden Bewegungen. Insgesamt schien ihm dies ein gutes Zeichen zu sein. Das Bein schien endlich zu heilen.
Heilen.
Anna.
Baumer dachte an seine Anna. An die schöne blonde Anna. Dann horchte er in sich hinein. Wollte die Amadio sich wieder zwischen sie stellen, erneut dazwischenfunken? Nein. Er hörte nichts. Also konnte er jetzt einfach wieder einmal seine Freundin in Ruhe anrufen. Also rief er an. Das Telefon läutete ein paar Mal, dann nahm Anna ab und meldete sich mit leiser und scheuer Stimme.
»Ja«, sagte sie und es war mehr ein Hauchen als ein deutlich gesprochenes Wort.
»Anna, bist du es?«, fragte Baumer und auch sein Satz war ängstlich gesprochen, so als ob er befürchtete, dass sie sofort auflegen könnte, wenn sie merkte, dass er es war.
»Ja, ich bin es«, antwortete sie, und Andi spürte sofort, dass sie sowohl verärgert als auch enttäuscht war. Enttäuscht von ihm, dass er nicht bei ihr war und nicht mir ihr, jetzt dort in Griechenland und vielleicht auch nie, später in Basel.
Andi brauchte einen Moment. Dann fragte er, wie es ihr gehe.
»Gut. Und du?«
»Ich?«
»Ja, du.«
Baumer merkte in Annas Stimme und in ihren knappen Sätzen, dass ihr Ärger Überhand zu nehmen begann. Das wollte er nicht. Er hatte Anna bereits schon zu sehr zur Seite gedrückt. Er hatte sie schlecht behandelt, also sagte er:
»Entschuldige.«
Andi hoffte einfach, dass sie ihn verstehen würde. Er hatte in den letzten zwei Tagen so gehandelt, wie er musste. Vielleicht überprofessionell. Aber er konnte nicht anders.
Es ging um einen Mord an einer wehrlosen alten Frau. Wenn er sich nicht für diese Alte einsetzen würde, wer würde es dann tun im Polizeikorps? Etwa Rötheli und seine Pilze? Die dachten nur an ihre Karriere und hatten genug mit sich und ihren dummen Machtspielchen zu tun. Heinzmann? Ja, der würde das tun. Aber Stefan Heinzmann fuhr Nachtpatrouille, war immer beschäftigt, würde allein nichts ausrichten können. Er war der Kommissar. Das Lösen von Mordfällen war seine Aufgabe. Dass er dabei auch gut seine Probleme vergessen konnte, wenn er von einem Fall geplagt wurde, behielt er für sich. Seine Arbeit half ihm, seinen Schmerz zu unterdrücken, wie dick aufgetragene Dispersionsfarbe düsteren Schimmel verschwinden lässt – bis er wieder durchbricht. Darum musste er auch immer neue Fälle lösen. Es war ein Zwang.
Natürlich hatte Anna unter seiner Art und Vorgehensweise gelitten, das war ihm selbstverständlich bewusst. Aber so ist es halt, redete er sich schnell ein, wenn man sich einen Polizisten als Freund nimmt. War er deshalb schuldig? Er fand nicht. Tat es ihm leid? Ja, das tat es. Also sagte er dies Anna auch.
»Es tut dir also leid. So, so«, bemerkte sie. Dann fügte sie mit spöttischem Unterton an: »Meinst du das ernst?«
Andi überlegte kurz und kam zum gleichen Schluss wie zuvor. Ja, es tat ihm leid, irgendwie,
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