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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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auch Baumer bewusst, aber er konnte es unmöglich zugeben. »Politiker.« Das war alles, was er hervorbrachte.
    Heinzmann konnte sich denken, wie Baumer das meinte. »Komm schon, Andi«, sagte er schließlich in väterlichem Ton. »Der Schläfli ist schon in Ordnung. Der hätte dich brutal zusammenstauchen können, so wie du dich aufgeführt hast. Aber er vertraut dir.«
    »Vertrauen?«, kommentierte Baumer ein wenig hilflos, als er den Becher an den Mund führte. Wie oft hatte er in letzter Zeit dieses Wort gehört. Je mehr man davon sprach, umso ungenauer schien ihm die Bedeutung. Und wer besonders penetrant Vertrauen einforderte, hatte meist nur etwas zu verstecken.
    Baumer wollte trinken, hielt inne, setzte den Becher aber sofort wieder ab.
    Heinzmann bemerkte, wie Andi den Kopf schüttelte und den noch halb vollen Kaffeebecher in den bei der Maschine bereitstehenden Abfalleimer werfen wollte. Der Becher schlug am Rand des Eimers auf. Er wirbelte durch die Luft und verspritzte seinen Inhalt in kreisförmigem Bogen weit in den Raum, bevor er auf den Linolboden klatschte.
    »He, pass doch auf?«, meckerte Stefan Heinzmann, Wachtmeister, und immer im Dienst. »Was ist überhaupt los mir dir in letzter Zeit?«
    Baumer kämpfte sich hoch, doch Heinzmann packte ihn beim Arm. »Du haust mir nicht ab, Freundchen«, gab Heinzmann den Tarif durch.
    »Was … he … was?«, versuchte sich Baumer, von seinem Freund loszuwinden, doch der schraubte seine Pranke um Andis Oberarm, so fest, dass Baumer aufschrie.
    »He, du tust mir weh.«
    »Dann hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen!«
    Andi Baumer sah seinen Freund wütend an, aber er sah nur in ein wetterfestes Polizistengesicht, das schon ganz andere Kaliber weichgekocht hatte. Endlich sah Baumer ein, wer heute der Stärkere war. Er öffnete seine Lippen, die zuvor bitter zusammengepresst waren. Seine angespannte Haltung lockerte sich. Fast im Gleichklang löste Heinzmann seinen Griff.
    Stefan Heinzmann hatte Andis Blick ausgehalten. Nun schaute er zu seinem Stuhl hin. Mit scheinbar größter Selbstverständlichkeit richtete er sich darauf erneut bequem ein. Er tat das ruhig und mit Bedacht. Alles in seiner Haltung schien zu sagen: »Es ist alles in Ordnung. Alles okay, Andi. Und nun komm. Erzähl mir deine Sorgen.«
    Weil Baumer das offenbar nicht sofort verstand, bewegte sich Heinzmann im Stuhl langsam von einer Seite auf die andere, nahm den einen Arm von der Lehne herunter, legte den anderen auf die zweite Lehne, drehte die Hand scheinbar absichtslos hinauf zu Andi. Das hieß: »Komm, Andi. Setz dich zu mir und erzähl. Sag mir, was dich quält. Geteiltes Leid ist halbes Leid.«
    Andreas Baumer sah auf seinen Freund hinunter, der ihm so sehr ein guter Freund war, dass es beinahe schon wehtat. Als ihm das bewusst wurde, zerbarst seine innere Anspannung wie ein Damm, der den See nicht mehr halten kann, der unter schweren Regenfällen angeschwollen war, und auseinanderbricht. »Ich … Es …«, stammelte er, als er sich umständlich neben den achtsamen Freund zu setzen versuchte.
    Stefan Heinzmann bewegte sich nach vorne, bot seinem Freund den Unterarm zum Halt. Der stützte sich an Heinzmanns Schulter ab. Die dummen Insignien eines Wachtmeisters Klasse 1 drückten ihm dabei schmerzhaft in die Handfläche.
    Als Baumer endlich auch saß, entspannte er sich ebenso wie sein Kumpel. Keiner sprach etwas. Nach einer Weile sog Baumer schwer und tief die Luft ein, blies sie aus wie ein Wal. Dann endlich sprach er aus, was er sich nicht eingestehen und niemandem sagen wollte, auch nicht Stefan, aber er wusste, es musste raus.
    »Ich … vermisse sie so sehr.«
    Als es endlich über seine Lippen gekommen war, kamen ihm sogleich die Tränen.
    »Ja, ich weiß«, sagte Heinzmann sofort und schnaubte ebenso tief aus, wie es Andi zuvor getan hatte, denn Heinzmann wusste, dass die Welt kompliziert und schwierig ist und alles nicht einfach und dass es nicht Anna war, die schöne Anna im fernen Griechenland, die Baumer so sehr vermisste.

    So sehr.

    *
    In der Nacht kam sie zu ihm. Er saß im Zug nach Vals und hatte ihre Stimme zwei Sitzbänke hinter sich gehört. Er wagte es nicht, sich umzudrehen. »Ist sie das?«, fragte er sich. »Ja, das muss sie sein«, gab er sich sogleich die Antwort, denn wieder hörte er, wie sie lachte. Und mehr als das Lachen noch, war es sein Bauch, der ihm ein Zeichen gab, und auch sein Herz, das er plötzlich in seiner Brust groß und mächtig schlagen

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