Schweizer Ware
Erfolg, als er zusammen mit Baumer, Heinzmann und Regazzoni zwei Mordfälle aufgelöst hatte, hatten aus ihm so etwas wie einen Star in der Redaktion gemacht. Aber 15.000 »Stütz« pro Tag für die freie Recherche! Das hätte selbst er nicht für möglich gehalten.
Viel Zeit, sich über so viel Vertrauen zu freuen, hatte er nicht. Es gab einiges zu tun. Also machte er sich sofort an die Arbeit. Zuerst telefonierte er mit Leuten, die unlimitierten Zugang zu den Computern der Fremdenpolizei hatten. Solche Typen gibt es in der Schweiz, wie in allen Staaten. Und es waren beileibe nicht nur Hacker. Viele waren ganz einfach beseelt von ihrem Schaffen für die Transparenz. Die Informationen flossen rasch und reichlich.
Der Journalist freute sich, wie einfach das war. Früher waren um solche Behörden dichte Mauern gezogen. Am Tor stand ein Büffel in Uniform, der einen nicht hineinließ. Heute konnte man an jeder Straßenecke CDs mit Informationen zu allem und jedem kaufen. Alle norddeutschen Benutzer eines bestimmten Handynetzanbieters? Die bekam man für 700 Euro. Eine Liste der Russen, die bei einer spezifischen französischen Bank ein Konto haben? 2.900 Euro. Solcherlei Daten wurden in rauen Mengen, fast inflationär, auf CDs gebrannt. Die Preise solcher Informationen fielen daher beinahe ins Bodenlose. Zu erfahren, wer Dr. med. Firsov war, war folgerichtig ein Kinderspiel. Es dauerte kaum eine Stunde, dann hatte Danner gesammelt, was er wollte. Einzig bei ein, zwei Newsagenturen musste er eine geringe Gebühr entrichten, aber sie ersparten ihm die Zeit einer eigenen Recherche im Netz.
Zusammengefasst ergab sich aus den Daten folgendes Bild:
Anatoli Firsov. 34 Jahre alt. Unverheiratet. Nationalität: Russe. Geboren in Sevastopol auf der Krim. Dort Studium der Medizin. Promotion an der Universität Bochum in Deutschland. Seit drei Jahren in der Schweiz. Zuerst für ein Jahr am Merian-Iselin-Spital in Basel. Seither in der Klinik Alpensonne. Firsov spricht anständig Deutsch, weil seine Großmutter Wolgadeutsche war.
Neben diesen Fakten spuckten die Informanten von Rolf Danner auch noch weitere interessante Neuigkeiten aus. Der Assistenzarzt kehrte erstaunlich oft auf die Krim zurück. Zumeist nur für ein paar Tage. Dabei stieg er immer in den teuersten Ferienhotels ab.
Danner schien das sehr verdächtig. Ein Assistenzarzt verdient nicht alle Welt. Warum konnte er es sich leisten, so viele Kurztrips in teure Hotels zu machen? Waren das vielleicht gar keine Ferien? Handelte es sich nicht eher um Besprechungen mit Drogenlieferanten? Fungierte der Mann etwa als Kurier zwischen Russland und der Schweiz? War er der Schleuser, der die Medis im Gepäck hatte? Aufgefallen wäre das dem Zoll wahrscheinlich nicht. Ein Arzt kann immer Medikamente mit sich führen, ebenso wie ein Lastwagenfahrer auf der Route durch den Balkan nebst Ersatzreifen und Schraubenschlüssel immer auch Johnnie Walker Whisky, Euros, Dollars, Schweizer Franken, ein Frottiertuch, ein Necessaire, ein Stellmesser und genügend Kondome dabei hat.
»Wie einfach doch alles ist«, dachte Rolf Danner, Journalist eines Zürcher Revolverblattes. Er machte eine grobe Überschlagsrechnung in seinem Kopf. Kaum dreihundert Euro ausgegeben. Sieben Informanten in drei Ländern angezapft, wobei sechs von diesen noch nicht einmal Geld für ihre Auskünfte genommen hatten. Und auch beim siebten war alles ganz legal. Ein Anwalt aus Warschau. Ein Geheimtipp für allerlei Informationen. Er würde sogar eine offizielle Rechnung für eine »Informationsberatung« senden. Die konnte der Blick von den Steuern abziehen. Als Gegenleistung bekommen: Alles, was er über Dr. med. Anatoli Firsov hatte wissen wollen.
Danner nahm seine Sonnenbrille mit den großen Gläsern ab, betrachtete sie kritisch. Dann ging er in sein Badezimmer, um sie unter warmem Wasser und mit Flüssigseife zu reinigen. Während er sie gedankenverloren mit einem Kleenex wieder trocken rieb, schaute er auf und in den Spiegel.
Rolf Danner sah sein eigenes Gesicht, so wie es nur wenige Leute sehen. Nur äußerst selten nahm er in Gesellschaft seine Brille ganz ab und zeigte sein wahres Gesicht. Dieses Versteckenspielen half ihm Distanz zu den Leuten zu wahren und ein noch besserer Journalist zu sein. Jetzt hingegen starrte ihn sein eigenes bleiches Gesicht an.
»Ja, du«, sprach er mit seinem Spiegelbild. »Das nähme mich schon wunder, wie viel einer für alle Informationen über uns zwei ausgeben
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