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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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mehr Kraft vor und brachte die Eiche zum Ächzen. Ein letzter starker Ruck und der Sargdeckel brach mit einem lauten Knacken weg.

    *
    Noch vor kurzem hätte sich Anita Kägi über jeden Besuch gefreut, besonders von vier jungen, hübschen Männern wie es Baumer, Heinzmann, Regazzoni und Danner waren. Sie hätte ihnen, wenn sie an ihr Spitalbett getreten wären, ihre dürre Hand hingehalten und sie verschämt wie ein Teenager angelächelt. Sofort hätte sie alle ihre Schmerzen vergessen und sich über die Veilchen und Nelken hocherfreut gezeigt, die ihr die jungen Besucher ins Spital gebracht hätten.
    Jetzt kamen vier Männer und störten sie in der unendlichen sternlosen Nacht. Sie brachten auch keine Blumen mit. Nein, sie nahmen ihr die Blumen sogar weg, hatten sie achtlos zur Seite geworfen, waren darauf herumgetrampelt! Sie mussten nicht einmal Angst haben, sie würde sich beschweren. Aber daran dachten sie jetzt nicht.
    Es war Regazzoni, der als Erster zu sprechen begann.
    »Einfach durch den Mund atmen, nur das Nötigste reden«, empfahl er den anderen.
    Es hätte der Anweisung des Professors nicht bedurft. Es war nicht die erste verwesende Leiche, welche die drei sahen. Aber Marco Regazzoni – so hieß der Tessiner mit Vornamen – musste einfach zeigen, dass nun er allein an der Reihe war. Das waren seine fünfzehn Minuten. Dafür war er hergekommen. Dafür brauchte ihn Baumer.
    »Aalso«, sprach der Gerichtsmediziner gedehnt um anzuzeigen, dass er nun das weitere Vorgehen erläutern würde. Die anderen drei hörten zu, während sie weiße Taschentücher vor ihren Mund und ihre Nase gepresst hielten. Wie sie so zusammenstanden, sahen sie aus wie Chirurgen, die Hygienemasken trugen und die über den Operationstisch gebückt bereit zum Schnipseln waren.
    »Es geht so«, erklärte der Mediziner. »Ich werde Haare sowie mehrere Proben von unterschiedlichen Körpergeweben nehmen. Die Leber ist dabei besonders interessant, weil sich in ihr die verschiedensten Abbauprodukte finden lassen.«
    Baumer dachte nur »Mach schon, mach schon.« Er staunte, wie der »Professor« jetzt plötzlich Zeit hatte zu quatschen.
    »Ich werde auch Fingernägel abnehmen. Ich bin sicher, dass Sie eine Analyse der längerfristigen Einlagerungen interessieren wird.«
    Baumer nickte rasch mit dem Kopf.
    Dann fragte Regazzoni, ob sonst noch jemand einen Wunsch habe?
    Der Blick-Journalist fragte sich, ob man nicht zuerst ein kleines Gebet für die Tote sprechen solle? Er wollte es anregen, aber dabei hätte er wohl den Mundschutz herunterlassen müssen, wenn es wirklich pietätvoll sein sollte, und das wollte er nun auch nicht. Also ließ er es lieber bleiben. Jedoch bat er leise für sich um das Seelenheil der Toten.
    »Merci, Danner«, freute sich Anita Kägi. »Du bist ein lieber Mensch.« Das hörte nur Danner. Die anderen hörten nichts.
    Regazzoni beugte sich tief im Grab über die Leiche. Auch er stand breitbeinig über dem offenen Sarg. Seine teuren Halbschuhe staken knapp neben den Längsseiten des Sarges im feuchten Dreck. Er versuchte das Hemd der Toten zu öffnen, kam aber nicht genau dahinter, wie es funktionierte. Es war auf der Vorderseite kunstvoll verknüpft. Wahrscheinlich waren diese Bändel nur Zier und man müsste das Hemd von hinten aufmachen, aber Regazzoni wollte die Leiche nicht drehen. Also schnitt er das Hemd kurzerhand mit einem Skalpell der Länge nach entzwei. Sipp, sipp, sssipp machte das Skalpell leise Geräusche, bis alle Schnüre durchgeschnitten waren. Dann legte er die beiden Flügel des Hemdes akkurat zur Seite. Anita Kägi lag da in Unschuld, weiß wie eine Jungfrau, die Beine keusch zusammengepresst.
    »So, meine Herren. Ich werde jetzt …«, begann Regazzoni aus der Grube heraus seinen drei Kollegen zu dozieren, als ein greller Lichtstrahl die Dunkelheit zerfetzte und die Gruppe mit voller Wucht traf. Alle vier rissen die Köpfe herum und blickten sogleich in gleißende Lichter. Die blendeten sie gewaltig, und sie schrien »Aahrr« oder »Eiii« und rissen die Hände hoch, um sich zu schützen. Für einen Moment sahen sie gar nichts mehr.
    Die Lichter schwankten in einiger Entfernung, etwa 150 Meter weiter weg, aber sie kamen rasch näher. Von dort hörten die frechen Grabschänder zugleich laute Rufe. »Halt! Polizei! Stehen bleiben!«
    Es war Heinzmann, der als Erster reagieren konnte. »Weg hier!«, brüllte er.
    »Los. Weg hier!«, schrie jetzt auch Baumer, der schon seine Krücken gepackt hatte

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