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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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und losstöckelte.
    »Scheiße, Scheiße, Aiih, Aiih«, schrie und stammelte Regazzoni. Er warf sich mit der Brust an die eine Seite des aufgeworfenen Grabes und versuchte, sich hochzustemmen. Mit den Füßen strampelte er in der Luft. Heinzmann zog den Professor am feinen Kragen hoch, stellte ihn auf die Beine und schubste ihn vorwärts. »Mach, verschwinde!«
    Regazzoni lief wie von der Tarantel gestochen los. Heinzmann fluchend hinterher.
    Rolf Danner blieb als Einziger cool. Er packte seine Kamera und stand breitbeinig am Sarg. Geschwind machte er eine Serie Fotos von der Toten. Das Blitzlicht seiner Kamera leuchtete die ganze Szene taghell aus. Er kontrollierte ruhig die Einstellungen, fotografierte zur Sicherheit nochmals. In den Pausen zwischen den Blitzen fuhren zitternde Lichtkegel in den Schauplatz, hingeworfen von den Taschenlampen der Gestalten, die vom unteren Plateau her immer näherkamen.
    »Stehen bleiben! Polizei!«, rief es aus der Gruppe, doch sie hörten alle schon gar nicht mehr hin.
    Regazzoni hatte Baumer überholt und sprintete keuchend davon. Baumer selbst legte einen neuen persönlichen Rekord mit Krücken hin. Er wurde von Heinzmann eingeholt, der helfen wollte. »Lass, lass mich!«, schrie Baumer aber nur. Es ging tatsächlich ohne seine Unterstützung besser. Heinzmann lief aber bei seinem Freund nebenher, sich immer wieder umblickend um zu sehen, wie nah die Verfolger schon waren. Er blieb bei Baumer, weil dieser ihn sicherlich noch brauchen würde, wenn er irgendwo über den Zaun klettern müsste.
    Danner stand derweil stoisch am Grab und fotografierte noch einmal und noch einmal die Leiche der Anita Kägi. Er tat es mit größtem Interesse, lange und ausführlich und irgendwie frech, so als ob Anita Kägi die Mona Lisa wäre und als gäbe es keine Aufseher im Louvre und keine Touristen, die von hinten drängeln. Endlich, endlich, raste auch er mit kurzen Schritten und in gebückter Haltung davon. In den Händen hielt er die Kamera wie einen geraubten Kunstschatz. Es war offenbar nicht das erste Mal, dass der Journalist vom Blick einer Handvoll Häschern entkommen musste.
    Er hetzte die Gräberreihe hinunter in Richtung Heinzmann und Baumer. In der Mitte der Abteilung führte ein kleiner Durchgang rechtwinklig in die nächste Reihe. Heinzmann und Baumer waren voraus, aber Danner nahm diese Abzweigung nach rechts und hastete weiter. Hinter sich hörte er die bellenden Rufe der Meute.
    »Weiter, weiter«, raste nur noch der Gedanke an Flucht durch Danners Kopf und er rannte mit Vollgas parallel zu Baumer und Heinzmann seine Gräberreihe hinunter. Er überholte die Zwei, als sie in ihrer Spur eine Abzweigung nach links nahmen und verlor sie so aus den Augen. Am Journalisten flogen Grabsteine vorbei. Ritter Anita – Widmer Karl – Piaggesi Carlo – Raatz Ingrid. Danner hatte keine Zeit, ihnen einen Guten Abend zu wünschen. Am Ende der Gräberkolonne – Dubach Erika – rannte er im Schuss an einem etwa zwei Kubikmeter großer Brunnentrog vorbei, so hoch wie eine Sitzbadewanne. Daraus schöpften die Friedhofsbesucher mit extra für sie bereitgestellten Gießkannen Wasser, um die Blumen auf den Gräbern ihrer Angehörigen zu gießen. Jemand hatte vergessen, den Wasserhahn ganz zu zudrehen. Der Trog war übergelaufen und die Setzsteine darum herum feucht. Danner rutschte auf der nassen, leicht moosigen Fläche vor dem Brunnen aus. Er schlug wuchtig auf die Seite, knallte mit dem Oberschenkel in die Kante des Steintrogs. Mit dem Ellenbogen zuerst und gleich danach mit dem Kopf prallte er auf den Steinboden. Seine Brille flog wirbelnd davon. Die Kamera hielt er noch immer geschützt wie ein Kleinkind in seinen Armen. Er schrie auf und blieb verkrümmt liegen. Mit geblähten Backen wie Louis Armstrong beim Furioso, presste er stoßweise den Atem aus und versuchte verzweifelt, den Schmerz zu verbeißen. Es gelang nicht.
    Hinter ihm verlangsamten die Verfolger ihre Schritte. Sie riefen nicht mehr. Sie lachten nur noch höhnisch, als sie sich um den nunmehr stöhnenden Danner scharten.

    *
    Andi und Stefan hatten sich in ein Gebüsch verkrochen, weil Baumer doch zu langsam war und sie befürchteten, dass die Häscher sie einholten, noch bevor sie den rettenden Wagen erreichen würden. Als sich die Verfolger – zwei Wächter des Friedhofs, ein Friedhofsgärtner der Stadt, sowie zwei Dorfpolizisten aus Riehen – tatsächlich nur um Danner kümmerten und dort stehen blieben, keimte in ihnen die

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