Schwelbrand
Neue?«
»Woher weißt du …?«, stotterte Horst gekünstelt.
»Weil ich behaupten würde, du wirst alt, wenn du dich länger als einen Monat mit derselben beschäftigst.«
»Ach, irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man sich mit Hexenschuss, Inkontinenz und Zahnersatz auseinandersetzt. Und die paar Tage bis dahin möchte ich noch genießen. Ich hatte ja sonst nichts vom Leben.«
»Armer Tropf. Also? Welche Haarfarbe?«
»Oh, jetzt bringst du mich in Verlegenheit. Auf dem Kopf ist sie rothaarig. Wenn du wissen möchtest, welche Originalhaarfarbe sie hat, rufe mich noch einmal am späten Abend an.«
»Mach ich. Vielleicht kannst du mir einen Gefallen tun?«
»Habe ich mir doch gedacht, dass wieder ein Großauftrag des Landes folgt.«
»Das ist keine wirkliche Aufgabe für dich. Ich möchte gern wissen, womit Mogens Aasgaard aus Kleinjörl seinen Lebensunterhalt bestreitet.«
»Wie heißt der? Aasgeier?«
»Mogens Ossgohr«, sprach Lüder den Namen phonetisch richtig aus.
»Sag das doch gleich. Also mit vier ›A‹. Wie viele Leute habt ihr bei der Polizei? Und weshalb fragst du mich? Ist dir bewusst, dass du ohne meine Hilfe keinen einzigen Fall gelöst hättest? Was hat der getan, dieses Aas?«
»Der hat mir gesagt, dass er dir die schönen Frauen vor der Nase wegschnappen will.«
»Das ist ein Argument. Gut. Ich kümmere mich darum. Bis wann, sagtest du? Nächste Woche?«
»Zehn Minuten.«
»Mensch. Weißt du, dass ich ein alter Mann bin? Da geht es nicht mehr so schnell.«
»Das wissen die Mädchen sicher zu schätzen.«
Horst grinste durch die Leitung. »Da hast du recht. Ciao.«
Lüder lächelte. Es traf zu, dass sein Freund ihm schon oft geholfen hatte. Lüder dachte dabei an die Fotomontage, die einen englischen Diplomaten erst zum Rücktritt und dann zum Selbstmord getrieben hatte. Es war damals die einzige Möglichkeit gewesen, den unter diplomatischer Immunität stehenden Mann zur Rechenschaft für zahlreiche Morde zu ziehen, für die er verantwortlich zeichnete.
Er sah auf die Uhr. Um diese Jahreszeit wurde es schon früh dunkel. Da verlor man leicht das Zeitgefühl.
»Wollen wir Feierabend machen?«, fragte er Große Jäger, der ihm gegenübersaß und immer wieder mit seiner Dienststelle in Husum telefonierte.
Der Oberkommissar gähnte. Man hatte ihn heute zu nachtschlafender Zeit geweckt und an den Tatort bestellt.
»Nun ist das schon vierundzwanzig Stunden her, dass man Jörg Asmussen in eine Falle gelockt hat«, sagte Große Jäger, und seine Stimme klang ein wenig belegt.
Lüder hatte es versäumt, zu Hause anzurufen und den Besuch Große Jägers anzukündigen. Ihn plagte das schlechte Gewissen, obwohl er sich bemühte, dass der zufrieden neben ihm sitzende Oberkommissar davon nichts mitbekommen sollte.
Lüder hielt vor dem Grundstück des älteren Einfamilienhauses im Hedenholz im Kieler Stadtteil Hassee. In der Einfahrt stand der betagte VW Bulli, mit dem Margit die Einkäufe erledigte und vor allem den Fahrdienst für die Kinder organisierte. Davor lag und stand der Fuhrpark des Nachwuchses: Fahrräder, Kindertrecker, das Skateboard von Jonas.
Er hatte den BMW noch nicht verlassen, als sich die Tür des Nachbarhauses öffnete und Frau Mönckhagen erschien. Die ältere Dame trug eine Gießkanne, mit deren Inhalt man höchstens eine winzige Zimmerpflanze hätte wässern können. Abgesehen davon war niemand an einem regnerischen Novemberabend mit der Gartenpflege beschäftigt.
»Ach, Herr Lüders«, sagte sie und kam näher. »Das ist ja eine Überraschung. Haben Sie schon Feierabend?«
»’n Abend, Frau Mönckhagen«, begrüßte er die füllige ältere Dame, deren ganze Lebensfreude darin zu bestehen schien, bestens über die Ereignisse im Wohnumfeld informiert zu sein. Er zeigte auf Große Jäger, der sich mühsam vom Beifahrersitz schälte. »Ich habe mir Arbeit mit nach Hause genommen.«
Frau Mönckhagen musterte den Oberkommissar. Dabei kniff sie die Augen zusammen, als könne sie ihn damit besser einschätzen.
»Sie scherzen, Herr Lüders.«
»Nein. Sie haben sicher davon gehört, dass dem Land das Geld ausgegangen ist. Man spart an allem. Es werden keine neuen Straßen gebaut, die Schulen verkommen, und die öffentlichen Gebäude werden knapp. Wir leiden unter fürchterlichem Platzmangel. So sind wir gezwungen, teilweise in Heimarbeit tätig zu werden. Ich führe jetzt Verhöre bei mir zu Hause durch.«
»Ach, Herr Lüders. Sie wollen mich veräppeln?«,
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