Schwemmholz
fromme Banker Kaufferle bei der Lektüre machen würde, und blätterte weiter, vergnügt grinsend. »Skinhead-Prozess auf der Kippe«, hatte der »Tagblatt«-Gerichtsreporter Frentzel getextet. Es war nur die halbe Wahrheit, dachte Kugler ärgerlich. Rodek war kein Skinhead, wie oft musste er es Frentzel noch sagen? Der Gerichtsbericht war ein kleiner Zweispalter. Aufgemacht hatte die Lokalredaktion mit der Sitzung des Technischen Ausschusses, »Grünes Licht für Großsporthalle« lautete die Schlagzeile, darüber war als Blickfang eine Aufnahme des Welf’schen Modellentwurfs platziert, das Ding sieht wahrhaftig aus wie eine Keksschachtel, ging es Kugler durch den Kopf. Im Artikel selbst war ein kleineres Bild von Welf und seiner Assistentin Judith Norden eingeblockt, Kugler zog die Augenbrauen hoch. Das Bild zeigte Welf, dozierend, und neben ihm Judith, ihn anlächelnd. Kess. Wissend. Selbstgewiss. Es war ein Lächeln, das Marie-Luise ganz gewiss nicht entgehen würde. Das kann Folgen haben, dachte der Anwalt. Der alte Haun hat sein Baugeschäft auf seine Tochter überschrieben, nicht auf den Schwiegersohn.
Plötzlich verzog er das Gesicht. Eine Duftwolke »Tosca for men« hüllte ihn ein. Rosdorfer ließ sich auf dem Verteidigerplatz neben ihm nieder.
»Gute Presse heute, Kollege, wie?«
»Ich verstehe das nicht«, sagte Kriminaldirektor Englin und tippte vorwurfsvoll mit dem Zeigefinger auf die Zeitung, die vor ihm lag. »Wieso kann das ›Tagblatt‹ behaupten, der Skinhead-Prozess sei am Kippen?«
»Vermutlich, weil er das auch ist«, antwortete Berndorf. »Es sieht so aus, als ob das Gericht dem Alibi glauben wird, das die Freundin des Hauptangeklagten gestern aufgetischt hat.«
»Und wir können dieses Alibi nicht widerlegen?«, fragte Englin ungläubig. Die Kommissarin Tamar Wegenast warf ihm einen raschen Blick zu. Englins linkes Augenlid zuckte synkopisch.
»Nein«, sagte Berndorf, »können wir nicht.«
Englin schaute in die Runde. Tamar spürte, wie sich an dem lang gestreckten Konferenztisch Erleichterung breit machte: Heute hatte es das Dezernat Kapitalverbrechen erwischt.
»Darf ich höflich fragen, wie Ihr Dezernat darauf reagieren wird?« Englin wartete kurz auf eine Antwort. Dann setzte er nach: »Verstehen Sie, wenn es zu einem Freispruch kommt, dann können wir nicht dasitzen und Däumchen drehen. Dann werden Fragen gestellt werden, und wir werden Antworten geben müssen. Sie, Kollege Berndorf, werden es tun müssen.«
»Für mich stehen die Täter fest«, brummte Berndorf.
»Vielleicht ist gerade das der Fehler, Kollege«, sagte Blocher vom Rauschgiftdezernat und faltete seine dicken Hände.
Du hast uns gerade noch gefehlt, dachte Tamar.
Berndorf raffte sich zu einer Antwort auf. »Im Augenblick können wir nur das Urteil abwarten. Kommt es zu einem Freispruch, müssen wir weitere Schritte mit der Staatsanwaltschaft klären.« Er lehnte sich in seinem Konferenzstuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hat keine Lust mehr, dachte Tamar.
»Nun gut«, sagte Englin. »Es wäre jedenfalls sehr unbefriedigend, wenn dieser Brandanschlag nicht aufgeklärt wird. Äußerst unbefriedigend. Die Öffentlichkeit würde das nicht verstehen.«
Einen Dreck interessiert sich die Öffentlichkeit für einen halb verbrannten Gastarbeiter, dachte Tamar. Das Innenministerium wird sauer sein, und das ist es, was dich juckt.
Der Kriminaldirektor wandte seinen Blick von Berndorf ab, das Gesicht noch immer missbilligend in Falten gelegt. »Es gibt da noch ein zweites Problem. Ich habe heute Morgen Informationen vom Landeskriminalamt bekommen, wonach ein Mitglied der kalabresischen Mafia hier im Ulmer Justizgebäude gesehen worden sein soll, und zwar unter den Zuhörern im Schwurgerichtssaal.« Er zögerte, als komme ihm die Mitteilung des LKA nun doch etwas kühn vor. »Jedenfalls könnte die Beschreibung eines Mannes, der dort gesehen worden ist, auf Salvatore Bertone zutreffen«, fuhr er schließlich fort. »Dem Mann werden mehrere Morde angelastet.« Aus einem Umschlag holte Englin eine Serie von Polizeifotos, die das unauffällige Gesicht eines dunkelhaarigen Mannes zeigten, und reichte sie Berndorf, der sie nachdenklich betrachtete. Der Mann trug einen Drei-Tage-Bart und sah verdrossen in die Kamera.
»Das ist eine merkwürdige Information und eine merkwürdige Geschichte«, sagte Berndorf schließlich. »Wenn dieser Mann im Schwurgerichtssaal gesehen wurde – warum kommt diese
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