Schwemmholz
geklungen, als wärst du 13. Ich bin noch ganz weg.«
»War ich auch. Ich meine, ich war wirklich 13, als ich es aufsagen musste.« Sie wandte sich zur Tür, drehte sich dann aber plötzlich wieder um und warf noch einmal einen Blick auf den Birnbaum.
»Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab.«
»Was hast du?«, wollte Hannah wissen.
»Nichts«, antwortete Tamar. »Mir ist nur eingefallen, dass ich mir einen Garten ansehen muss. Einen anderen Garten. Ich weiß gar nicht mehr, ob es da auch einen Birnbaum gibt.«
Das Licht fiel hell und nüchtern auf den Küchentisch. Auf einem der Stühle saß eine vierfarbige Katze und putzte sich.
Vera war dabei, für den Nachtisch Äpfel zu schälen. Ihr Mann und ihr Schwiegervater waren im Wohnzimmer und schauten sich im Fernsehen ein Theaterstück in Mundart an. Sylvie Wenger, Kriminalbeamtin aus Biberach, saß Vera gegenüber und sah ihr zu. Sylvie hatte rotblondes Haar, ein rosiges rundliches Gesicht und auch sonst lauter Dinge, die Veras Mann Wilhelm nicht ungern sah. Vera war es recht.
»Sag mal, solltest du deinem Mann nicht allmählich sagen, was Sache ist?« Sylvie und Vera hatten sich von Anfang an duzen müssen, denn Sylvie war ja angeblich eine Cousine zweiten Grades. So hatten sie es Veras Mann und auch im Dorf erklärt. Vera ließ das Obstmesser sinken. »Ich weiß, dass ich es irgendwann einmal tun muss. Aber jetzt gerade mag ich nicht. Es muss auch nicht sein. Die beiden Männer sind ganz zufrieden, dass auch einmal eine andere Frau im Haus ist.«
Sylvie sah sie aus blaugrünen Augen an. Ob mir das recht ist, dachte sie sich, interessiert keinen.
»Gib mir was von dem Obst rüber«, sagte sie. »Zu zweit geht es schneller.«
Die vierfarbige Katze hatte ihre Toilette beendet und legte eine Pfote auf den Küchentisch. »Kusch«, sagte Vera. Die Katze zog die Pfote zurück und blickte Vera rätselhaft an.
Die Tür öffnete sich, und Wilhelm Vochezer kam herein. »Wo bleibt ihr denn?«, fragte er munter. Erst jetzt fiel es Vera auf, dass er nicht die graue Strickjacke trug, sondern die Trainingsjacke vom VfB Gauggenried. Dort war er Schriftführer, und manchmal spielte er bei den Alten Herren mit.
Montag, 31. Mai
Der Mann, der mit fragendem Blick in der Tür zu Tamars Büro stand, trug eine Jacke aus Schlangenleder, ein fliederfarbenes Hemd, helle Jeans und Mokassins. Sein Haar war kurz geschoren. »Entschuldigen Sie, aber ich glaube, Sie wollten mich sprechen«, sagte er mit wohlakzentuierter Stimme.
Tamar, die wegen Krauser zu Englin bestellt war, drückte sich an ihm vorbei. »Mein Kollege wird sich um Sie kümmern«, sagte sie und deutete auf Kuttler.
»Aber bitte sehr«, antwortete der Mann.
Kuttler stand etwas verlegen hinter seinem Schreibtisch auf, wobei er es vermied, auf seinen linken Nasenflügel zu schielen. Irgendetwas war dort wieder erblüht. Vielleicht sollte er doch seine Ernährung umstellen, wie ihm Tamar geraten hatte.
Der Besucher stellte sich vor. Er war der Mann, dem auf dem Bahnhofsklo das Handy abgenommen worden war. Kuttler bat ihn, Platz zu nehmen, und legte ihm dann eine Mappe mit Polizeifotos vor. Die Fotos zeigten eine Auswahl der einschlägig bekannten Klappen-Jünglinge. Mit einer Ausnahme.
Der Mann in der Schlangenlederjacke sah sich die Aufnahmen durch. Einige der Jungens kennt er, dachte Kuttler, der ihn beobachtete.
Plötzlich erstarrte das Gesicht des Mannes. Er sah zu Kuttler hoch. »Hier. Der da war es.« Er drehte die Mappe mit den Fotos so, dass auch Kuttler das Gesicht sehen konnte.
Aber dieser wusste auch so, welches Bild der Besucher herausgesucht hatte. Es war das einzige Foto, das Kuttler nicht aus der Stricher-Kartei genommen hatte.
Kaffee, immerhin, konnte die Puttana kochen. Varsalone zündete sich eine neue Zigarre an. Ärgerlich stellte er fest, dass er nur noch zwei in seinem Etui hatte. Außerdem wurde das Essen knapp. Zum Frühstück hatte es Omelette aus drei Eiern gegeben, für vier Leute.
Varsalone hatte einmal einen amerikanischen Jungen hüten müssen, in den Bergen oberhalb von Paestum, und die Verhandlungen hatten länger gedauert, als die Kapos gedacht hatten, und so waren die Vorräte ausgegangen. Aber dort hatte er Kaninchen schießen können.
Er fasste einen Entschluss. Heute Nacht würden sie das Haus verlassen. Sie waren nicht weit von der Zubringerstraße
zur Autobahn nach Kempten. Das Hochwasser war zurückgegangen und die meisten Straßen frei. Wenn er das
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