Schwemmholz
»›Das Große bleibt groß nicht, und klein nicht das Kleine.‹ Ist nicht von mir, sondern von Brecht. Vielleicht richtet Sie das auf, wenn Sie nachher in Ihre Konferenz müssen.«
Frentzel verzog das Gesicht. »Mit Brecht kann unser Chefredakteur nichts anfangen. Etwas Habhafteres haben Sie nicht? In der Stadt heißt es, Sie hätten den Bauunternehmer Welf festgenommen.«
Berndorf trank seinen Espresso aus und bezahlte. »Tut mir Leid. No comment. Wer da festgenommen worden ist, und wer sich da von einem Münchner Prominentenanwalt vertreten lässt, müssen Sie schon selbst herausfinden.«
Desarts und Eisholm, die am Tisch mit der Bonbonniere saßen, erhoben sich, als Berndorf hereinkam. Die Männer schüttelten sich die Hand, und Eisholm versenkte einen tiefen
Krähenblick in Berndorfs Augen, als hätte er eine Partie Turnierschach mit ihm zu bestreiten und müsse schon jetzt seine Schwachstellen erkennen.
»Herr Eisholm hat um ein vertrauliches Gespräch gebeten«, sagte Desarts. »Er will wissen, welche strittigen Punkte von seiten seines Mandanten geklärt werden könnten.«
Berndorf nickte und schwieg.
»Wenn ich das richtig sehe«, sagte Eisholm, »erfolgte die Festnahme meines Mandanten während eines Besuches von ihm bei einer früheren Bekannten, das heißt bei einer Frau, die er für diese Bekannte hielt. Dabei muss es zu einer Szene gekommen sein, die Sie als tätlichen Angriff interpretiert haben. Herr Welf sagte mir nun, ihm sei der Vorfall völlig unverständlich. Die Frau habe ein Kopftuch und eine entstellende Brille getragen, und er habe sich ihr nur genähert, um zu erkennen, ob sie es auch wirklich sei.«
»Warum hat er dann versucht, davonzulaufen?«, wollte Berndorf wissen.
»Ich bitte Sie!« Eisholms Stimme klang händeringend. »Ein ländliches Anwesen, halb im Dunkel, plötzlich taucht ein Mann mit einem Revolver aus dem Zwielicht auf — wer kein Polizist ist, lieber Kommissar Berndorf, der kann es sehr gut verstehen, wenn da jemand in nackter Panik davonläuft.«
»Hat Ihr Mandant Ihnen gesagt, welcher Art die Beziehung zu seiner — wie Sie es nennen — früheren Bekannten gewesen ist?« Eisholm legte einen schmerzlichen Ausdruck in seinen Blick. »Ja doch. Es wird von unserer Seite durchaus eingeräumt, dass es da eine ungute Geschichte gegeben hat. Mein Mandant stellt das zwar etwas anders dar, als es in der Aussage dieser« — er schaute in sein Notizbuch — »Frau Vochezer niedergelegt ist. Aber—und ich bitte Sie, dies zu beachten — mein Mandant bestätigt, dass es hier einen Vorfall gegeben hat, für den er sich heute schämt. Unschön, in der Tat. Eben deswegen hat er die vermeintliche Frau Vochezer aufgesucht, um zu klären, ob sich hier im Nachhinein etwas in Ordnung bringen lässt.«
Berndorf betrachtete den Anwalt ungläubig. Die Krähenaugen gaben den Blick vergnügt zurück, als wollten sie sagen, es gebe noch ganz andere Ausreden zwischen Himmel und Erde, als ein Polizist sich träumen lässt.
»Wir denken, dass er sie aus einem ganz anderen Grund aufgesucht hat«, sagte Berndorf langsam. »Er hat sie aufgesucht, um sie daran zu hindern, dass sie uns oder sonst jemand von der Verbindung berichtet, die zwischen ihm und Stefan Rodek besteht. Stefan Rodek ist dringend verdächtig, mehrere Menschen ermordet zu haben. Einer davon ist getötet worden, als Rodek eine Gasexplosion herbeigeführt hat, und zwar in einem Haus, das Ihrem Mandanten gehört und das er abreißen lassen wollte. Außerdem wissen wir, dass Rodek einen Brandanschlag auf die Baustelle einer italienischen Firma organisiert hat. Dabei ist ein weiterer Mensch schwer verletzt worden.«
Eisholm blickte ihn ruhig an. »In dieser Sache ist Rodek aber freigesprochen worden, nicht wahr?«
Berndorf nickte. »Inzwischen haben wir neues Beweismaterial. Zwingende Beweise. Zumindest, was die Explosion am Ostbahnhof betrifft.«
»Das glaubten Sie doch auch beim ersten Mal?«, fragte Eisholm freundlich. »Sie erzählen mir doch nicht, dass Sie in ein Verfahren gehen ohne Beweise, die Ihnen als zwingend erscheinen? Aber lassen wir das. Es ist für uns nämlich überhaupt nicht wichtig.« Er machte eine Pause. Berndorf wartete.
»Ihre ganze Theorie, lieber Kommissar Berndorf, beruht auf einem kleinen, aber folgenschweren Irrtum.« Er beugte sich vor und fasste Berndorf ins Auge. »Mein Mandant leugnet in keiner Weise, dass er als junger Mensch mit Rodek bekannt und auf eine vielleicht nicht ganz
Weitere Kostenlose Bücher