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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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später hatte sich Tamar verabschiedet. Barbara blickte ihr nach, mit zwiespältigen Empfindungen. Da haben wir aber Glück gehabt, dachte sie, er und ich, dass diese Amazone keinem Achill erliegen wird. Auch wenn B. nur sehr entfernte Ähnlichkeit mit einem solchen hat – es ist besser so. Sonst könnte es sein, dass seine stillen Tage mit altem Jazz und noch älteren Schriftstellern und mit seinen Telefonaten nach Berlin schneller vorbei wären, als wir es uns träumen lassen wollen.
     
    Tamars Golf röhrte durch die Dorfstraße, als wäre sie auf einer Rallye. Einer Rallye von Ulm nach Miami. In Tamars Sichtfeld rieselte Müdigkeit. Sie hatte in den letzten 48 Stunden keine vier Stunden Schlaf gehabt. Ich will jetzt zu Hause sein, dachte sie. Ich will nichts als ins Bett. Oder in ein heißes
Bad. Wunschträume. In dem alten Bauernhaus gab es zwar eine Badewanne, die stand in der Waschküche, wo sonst. Und der Badeofen musste mit Holz befeuert werden. Vier oder fünf Stunden vorher, damit es auch wirklich heißes Wasser gab.
    Sie steuerte den Golf durch die Scheunentore, stellte den Motor ab und überlegte, wie sie aus dem Auto herauskommen solle. Am besten würde sie sich einfach auf den Vordersitzen zusammenrollen und schlafen.
    Es wurde dunkel. Irgendjemand schloss die Scheunentore. Tamar schüttelte sich den Kopf noch einmal wach und stieg aus. Die Stalllaterne ging an. Jemand mit einem Kopftuch und einem Malerkittel lächelte sie an. Hannah. Irgendwie sah sie durchweicht aus. Wie eine verzauberte Putzfrau aus einem römisch-irischen Dampfbad.
    »Ich hab dieses verdammte Bad in Gang gebracht«, sagte sie. »Wir haben genug heißes Wasser, um eine ganze Akademie von Polizistinnen damit sauber zu kriegen.«
     
    Im Herd garte ein Rehkeule; Krauser hatte sie vom Jagdpächter des Reviers am Hochsträss bekommen. Am Nachmittag hatte er selbst gemachte Spätzle vorbereitet, so, wie es ihm noch seine Mutter beigebracht hatte. Es war als Abwechslung zur Pasta gedacht, Preiselbeeren würde es dazu geben und Blattsalate und einen Großbottwarer Trollinger, den er von einer weitläufigen Cousine hatte.
    Claudia saß an seinem Arbeitstisch ihm gegenüber. Mit den Kopfhörern sah sie aus wie eine richtige Dolmetscherin, ernsthaft und konzentriert. Sie hörte ab, übersetzte und diktierte in einem Zug, dass er auf seinem Laptop kaum nachkam. Die Tippfehler würde er während der Dienstzeit überarbeiten.
    »Der nächste Anrufer ist eine Frau, eine Deutsche, zweimal Pescadora, einmal mit Artischocken, sie will es um 20.30 Uhr abholen und redet wie die Leute aus dem Ruhrgebiet, hast Du das? Jetzt ist es wieder eine italienische Stimme, ach ja, es ist seine Mutter, er sagt, ich küsse dich, Mutter, und sie sagt, ich küsse dich auch, und denk nur, deine Tante Sophia ist im
Krankenhaus in Bari, hast du das, es ist eine Geschichte mit dem Unterleib, du brauchst es nicht so genau zu wissen . . .«
    »Doch«, wandte Krauser ein, »ich muss das alles aufschreiben.«
    »Ach«, antwortete Claudia, »das hab doch nicht ich gesagt. Die Mutter sagt es. Der Sohn muss es nicht so genau wissen.«
     
    Es sei ein Birnbaum gewesen, erklärte der alte Mann. Er sprach langsam und stand noch unter den Nachwirkungen der Narkose. »Ein Oberösterreicher. Mostbirnen sagt man bei uns dazu. Weißt, es gibt ein ganz ein rares Aroma. Wir mischet ihn.« Er hatte das rot gegerbte, listige Gesicht der Bauern aus dem Oberschwäbischen, und seine siebzig Jahre dazu auf dem krumm geschafften Buckel. Mit dem Schaffen war es jetzt für eine Weile vorbei, die rechte Schulter samt dem Oberarm steckte in Verbänden und Schienen, mit denen ein offenbar ziemlich komplizierter Bruch gerichtet werden musste.
    Genau besehen war nicht der Oberösterreicher schuld, sondern »dui Hurenleiter«. Deren Sprossen waren genau in dem Augenblick gebrochen, als Eugen Vochezer ganz oben angelangt war, um den hochstämmigen Baum zu beschneiden. »Gut 30 Jahr’ alt ist er, aber er traget no alleweil. Du musst ihn nur sauber ausschneiden.«
    Er duzte Berndorf ganz selbstverständlich. Als Vochezer vor drei Jahren im Erholungsheim des Bauernverbandes gewesen war, wäre er schließlich auch nicht auf den Gedanken gekommen, zu seinem Zimmergenossen »Sie« zu sagen. Man hatte ihn am Vormittag ins Krankenhaus gebracht und später, nach der Operation, in Berndorfs Zimmer verlegt. Der Polizist, der dort Wache geschoben hatte, war zuvor auf Berndorfs kategorische Anweisung hin wieder

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