Schwere Wetter
erzähl's mir. Wie schmutzig war es?«
Jane setzte sich neben ihn und senkte die Stimme. »Also, ich habe die Stromversorgung der Klinik unterbrochen, dann, als alles dunkel war, bin ich in das Gebäude eingebrochen, habe Alex mit einer Taschenlampe gefunden und ihn auf dem Rücken rausgetragen.«
Jerry stieß einen Pfiff aus. »Verdammt noch mal! Das hast du ganz allein gemacht? Da haben wir ja ein Monster erschaffen!«
»Ich weiß, ich hab da eine Dummheit gemacht, aber wenigstens war alles schnell vorbei, und ich wurde nicht geschnappt, Jerry. Ich wurde nicht geschnappt, ich hab ihn rausgeholt, und es hat hervorragend geklappt!« Sie schauderte, dann sah sie ihm in die Augen. »Bist du stolz auf mich?«
»Aber sicher«, sagte Jerry. »Klar bin ich das. Ich kann gar nicht anders. Hat dich jemand gesehen?«
»Nein. Außer dir und mir weiß niemand davon. Carol und Greg wissen's auch, aber die würden niemals was sagen. Und Leo, natürlich.«
Jerry runzelte die Stirn. »Du hast Leo doch nicht etwa von dieser kleinen Eskapade erzählt?«
»Nein, nein«, versicherte ihm Jane. »Bis Leo Alex' Aufenthaltsort ausfindig gemacht hat, hatte ich keinen Kontakt zu ihm.« Sie zögerte, beobachtete aufmerksam Jerrys Gesicht. »Aber Leo ist schlau. Ich glaube, er hat rausbekommen, was ich vorhatte. Soviel konnte ich der Email entnehmen, die er mir geschickt hat.«
»Du solltest nicht versuchen, Leo zu durchschauen«, sagte Jerry. »Du kennst Leo nicht. Und ich möchte auch nicht, daß du Leo kennst. Solltest du Leo jemals kennenlernen, wird dir das noch einmal sehr leid tun.«
Sie wußte, daß Jerry ungehalten werden würde, wenn sie weiter in ihn drang, aber sie konnte nicht anders. »Ich weiß, daß du Leo nicht vertraust, und ich tu's auch nicht. Andererseits hat er uns oft geholfen. Es war bestimmt nicht leicht, Alex ausfindig zu machen. Bloß weil er dein Bruder ist, hätte Leo das für mich nicht tun brauchen. Aber er hat es getan, und er hat nie etwas von uns dafür verlangt.«
»Mein Bruder ist ein Gespenst, und Gespenster sind von Berufs wegen leutselig«, meinte Jerry. »Du hast deinen Willen gehabt. Laß Leo von jetzt an in Frieden. Dein Bruder ist eine Sache, aber mein Bruder ist eine andere. Es ist schlimm genug, daß dein Tunichtgut von einem Bruder im Camp aufgetaucht ist, aber wenn mein Bruder herkommen sollte, dann bricht das Chaos aus.«
Jane lächelte. »Weißt du, Jerry, es tut mir wirklich gut, daß du das sagst. Natürlich in einer total kranken, paradoxen Hinsicht.«
Jerry verzog das Gesicht und fuhr sich durchs rotblonde Haar. Es lichtete sich am Haaransatz, und der VR-Helm hatte die Frisur über den Ohren zerquetscht, wie bei einem kleinen Jungen. »Familie ist ein Alptraum.«
»Ganz deiner Meinung«, sagte Jane. Auf einmal fühlte sie sich ihm sehr nahe. Familienprobleme waren etwas, das alle Menschen gemeinsam hatten. Es war nett von ihm gewesen, daß er Alex' Aufnahme in die Truppe zugestimmt hatte, obwohl sie offen über die Unzulänglichkeiten ihres Bruders geredet hatte. Jemand anderem hätte Jerry diesen Gefallen bestimmt nicht getan. Sie verhielt sich dumm und leichtsinnig und war lästig, aber Jerry ließ es ihr durchgehen, als eine Art Geschenk. Weil er sie liebte.
»Wir sollten uns mal ein paar Gedanken machen«, meinte sie. »Die Truppe wird nicht besonders erfreut darüber sein. Alex ist kein Star-Rekrut, das ist mal sicher. Er verfügt weder über besondere Fähigkeiten, noch über eine gute Ausbildung. Und er ist ein Invalide.«
»Wie krank ist er eigentlich? Geht's ihm schlecht?«
»Na ja, ehrlich gesagt, hab ich seine Leiden immer zu neunzig Prozent seiner Hypochondrie zugeschrieben. Dad hat Tausende für ihn ausgegeben, aber man hat nie festgestellt, was eigentlich mit ihm los ist. Jedenfalls kann ich dafür garantieren, daß er keine ansteckende Krankheit hat.«
»Das ist immerhin etwas.«
»Aber er langweilt sich schnell, und dann wird er reizbar und bekommt diese Anfälle. Manchmal sind sie ganz schön schlimm. Aber das war schon immer so.«
»Wer bei der Truppe bleiben will, muß seinen Teil beitragen«, sagte Jerry.
»Das weiß ich, aber ich glaube nicht, daß er lange bleiben wird. Wenn er nicht von sich aus wegläuft, wird ihn die Truppe nach einer Weile rausschmeißen. Die fackeln nicht lange. Und wenn es eine Möglichkeit gibt, hier Ärger zu machen, wird das Alex nicht lange verborgen bleiben.« Jane zögerte. »Blöd ist er nicht.«
Jerry trommelte leise
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