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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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hölzernen Serviettenringen. Am Kopf hatte er eine kleinere Beule. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wo er sie abbekommen hatte.
    Die Lunge fühlte sich jedoch gut an. Seine Lunge fühlte sich sogar sehr gut an, erstaunlich gut. Er atmete. Und nur darauf kam es an. Zum ersten Mal seit mindestens einem Jahr hatte er eine ganze Nacht ohne Hustenanfall überstanden.
    Woraus das üble Zeug, das man ihm in die Lunge gespritzt hatte, auch bestehen mochte, und ganz gleich, welche irregeleiteten Quacksalber dem Personal der clínica auch angehören mochten, die Behandlung hatte zweifelsfrei angeschlagen. Die Gerüchte, von denen er sich hatte leiten lassen, stimmten also; die Hurensöhne in Nuevo Laredo hatten etwas Praktikables vorzuweisen. Er war nicht geheilt - er wußte sehr wohl, daß er nicht geheilt war, er spürte die tief in seinen Knochen lauernden, nur vorübergehend gedämpften Krankheitsreservoirs -, aber es ging ihm jetzt erheblich besser. Man hatte ihn zusammengeflickt, wieder hochgepäppelt und auf die Beine gestellt. Seine Schwester hatte ihn gerade zur rechten Zeit entführt.
    Alex lachte laut heraus. Er hatte neue Kräfte gesammelt; er war wieder auf dem Damm. Das war ihm nur recht; aber es war auch sehr seltsam.
    Alex hatte auch schon früher Anfälle von Gesundheit gehabt. Der längste hatte volle zehn Monate gedauert. Damals war er siebzehn gewesen, seine Lebensweise war für eine Weile vollständig umgekrempelt worden, und er hatte sogar erwogen, zu studieren. Dieser kleine Traum war jedoch zerplatzt wie eine Blutblase, als der Fluch der Krankheit wieder seine Fischhaken in ihn senkte und ihn japsend in seine gewohnte Welt der Untersuchungen, Injektionen und Biopsien und aufs Krankenlager zurückwarf.
    Die letzte Krankheitsperiode war mit Abstand die schlimmste gewesen, jedenfalls seit er dem Säuglingsalter entwachsen war. Mit achtzehn Monaten wäre er bei einem Hustenanfall beinahe erstickt. Alex konnte sich daran natürlich nicht erinnern, aber seine Eltern hatten ihn während der Krise vierundzwanzig Stunden am Tag mittels Video überwacht. Alex hatte die Bänder später entdeckt und sie eingehend betrachtet.
    Im grellen, gnadenlosen Licht des texanischen Morgens stand Alex nackt neben seinem zerknautschten Schlafsack und betrachtete sich mit so großer Sorgfalt und Klarheit wie schon lange nicht mehr.
    Er war mehr als mager; er war ausgezehrt, eine Drahtpuppe, nichts als Haut und Knochen. Er war so gut wie hinüber. Er war nachlässig und leichtsinnig gewesen.
    Leichtsinnig - weil er nicht mehr daran geglaubt hatte, daß er je wieder aus dem Schattenreich auftauchen werde. Diesmal nicht. Die clínica war seine letzte Hoffnung gewesen, und ihretwegen hatte er alle Bande zur Familie und deren Vermittlern durchtrennt. Er war mit aller Entschlossenheit, die er hatte aufbringen können, in den Untergrund gegangen - so tief in den Untergrund, daß er keine Augen mehr gebraucht hatte, in die Art von stockfinsterem Untergrund, der gleichbedeutend war mit einem Grab. Der Versuch mit der clínica war lediglich eine Pflichtübung gewesen. In Wahrheit hatte er die letzten paar Wochen, die seinem verbrauchten Körper vor dem Gnadenschuß noch gegeben waren, in aller Stille herumbringen wollen.
    Doch nun schien es so, als werde er weiterleben. Irgendwie und wider alle Erwartung hatte er noch einmal einen Aufschub bekommen. Das war nichts, worauf man sich allzusehr verlassen konnte, aber es war alles, was er hatte; und wenn es eine Weile vorhielt, dann könnte er die Zeit jedenfalls nutzen.
    Das Camp der Trouper würde ihm vielleicht gut tun. Die Luft der High Plains war dünn und trocken, irgendwie sauberer und leichter zu atmen.
    Besonders begeistert war Alex vom Sauerstofftank der Truppe. Die meisten Ärzte, mit denen er zu tun gehabt hatte, hatten seine Gewohnheit, reinen Sauerstoff zu schnüffeln, mit Argwohn betrachtet. Die Trouper aber waren keine Ärzte, sondern ein Haufen fanatischer Hinterwäldler mit einem erfrischenden Mangel an Umgangsformen, und der Sauerstoff war wundervoll gewesen.
    Alex stieg eilig in den weiten Papieranzug und schloß den Reißverschluß bis zum Hals. Sollte die Drahtpuppe ruhig in diesem großen, papierenen Puppenkostüm verschwinden. Die Trouper würden keine Lust haben, sich mit seinen Krankheiten zu beschäftigen. Sie machten keinen blutrünstigen oder sadistischen Eindruck auf ihn; ihnen fehlte die kriminelle, raubtierhafte Ausstrahlung, der er so oft bei

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