Schwert und Laute
Euch schießen, ich war außer Stande dazu. Trotz allem, was meine Familie verloren hat, als Ihr Arglye verwüstet habt. Damals war ich noch ein Kind, aber ich habe gesehen, wie mein Cousin bei diesem Raubzug getötet wurde, Macdonald. Meine Familie hat alles verloren. Ihr habt alles in Brand gesteckt, die Scheune und die Vorratsgebäude, das Haus. Das Vieh gestohlen. Ich habe Dinge gesehen, die man nie vergessen kann. Dann musste mein Vater sich verschulden, damit wir über den Winter kamen... Doch trotz allem, obwohl ich Euch hasste, konnte ich mich nicht dazu überwinden, kaltblütig auf Eure Leute zu schießen... Auf die Frauen, die Kinder! Mein Gott!«
»Wer hat den kleinen Robby getötet?«, schrie Liam und ballte die Fäuste. »Wer hat Mairi Macdonald und ihr Kind mit einem Schwerthieb getötet? Einen Säugling, Gott im Himmel! Von ihm hat man nur noch seine kleine Hand im Schnee gefunden, der rot vor Blut war, seinem Blut! Was ist mit meinem Vater? Meiner Schwester, die ein Kind erwartete? Sie haben ihr Gewalt angetan, MacIvor. Sie trug ein Kind unter dem Herzen, und sie haben sie geschändet! Verstehst du das? Und all die anderen!«
Er keuchte und beherrschte sich nur mit übermenschlicher Anstrengung.
»Ich weiß es nicht, Macdonald. In meiner Erinnerung verschwimmt alles. Ich habe über die Köpfe der Menschen hinweggeschossen und gehofft, dass sie es schaffen. Aber was hätte ich sonst tun können? Jeder hat nach seinem Gewissen gehandelt. Ich habe gesehen, wie Captain Drummond einem Mann, der kaum älter war als ich, eine Kugel durch den Kopf schoss. Sie hatten schon acht Männer niedergemacht, und Glenlyon hatte seinen Männern befohlen, ihn zu verschonen, nachdem sich herausstellte, dass sie Schutzbriefe bei sich trugen. Da hat Drummond selbst zur Waffe gegriffen. Zwei Tage zuvor hatte ich noch Karten mit dem Jungen gespielt, und jetzt sah ich ihn mit einem Mal im Schnee liegen, den Schädel weggesprengt. Dieses Bild verfolgt mich jede Nacht... Ihr könnt Euch nicht vorstellen...«
Er schlug die Hände vors Gesicht und stieß einen heiseren Schrei aus, der von dem feuchten Stein widerhallte. In meinem Magen breitete sich ein Gefühl der Leere aus. Ich konnte verstehen, dass Liam diesen Mann am liebsten umgebracht hätte, doch auch MacIvors Gewissensbisse waren sicherlich eine Strafe, die schwer zu tragen war. Im Vergleich dazu mochte der Tod ihm wie eine Erlösung erscheinen.
Vorsichtig trat ich zu Liam. Ich wagte nicht, ihn anzurühren, da ich fürchtete, er könnte mich brüsk zurückstoßen. Doch er bemerkte meine Bewegung und streckte mir eine zitternde Hand entgegen. Dann riss er mich in die Arme, die er wie einen Schraubstock um mich schloss, und vergrub das Gesicht an meinem Hals. Sein ganzer Körper wurde von Krämpfen geschüttelt, und trotz der Kälte war er schweißüberströmt.
Ich sah zu ihm auf. Ein Strahl Mondlicht erhellte sein Gesicht. Seine entsetzlichen Erinnerungen malten sich auf seinen tränennassen Zügen, die von seinem Schmerz und seinem verzehrenden Durst nach Rache verzerrt waren. MacIvor war verstummt. Lange Minuten standen wir so da und versuchten, so etwas wie Ordnung in unsere aufgewühlten Gedanken zu bringen. Nur unser Atem und fernes Hufgetrappel waren in der drückenden Stille zu hören. Liam löste sich schließlich von mir und wandte
sich nachdenklich um. Dann pflanzte er sich vor dem reuigen Soldaten auf.
»Warum bist du zu mir gekommen?«, verlangte er mit belegter Stimme zu wissen.
»Weil ich Euch helfen wollte, Euren Bruder aus dem Tolbooth herauszuholen.«
»Warum tust du das? Meinst du, so könntest du dich freikaufen?«
»Ich weiß, dass ich Euch Eure Toten nicht zurückgeben kann. Aber wenn es mir gelingt, Colins Hinrichtung zu verhindern...«
»Und wie gedenkst du, ihn dort herauszuholen? Wenn man dich erwischt, wirst du füsiliert. Bist du bereit, dieses Risiko für ihn einzugehen, für einen Macdonald?«, höhnte Liam.
»Ja«, flüsterte David MacIvor und richtete sich ein wenig auf. »Lieber lasse ich mich erschießen, als für den Rest meiner Tage mit dieser Last zu leben. Ich bin zur Nachtwache im Gefängnis eingeteilt, da habe ich gute Aussichten, es zu schaffen.«
»Er ist nicht allein; ein gewisser Finlay MacAllen ist mit ihm zusammen.«
»Ich weiß; für den anderen kann ich jedoch nichts garantieren.«
Liam schritt vor dem jungen Soldaten, der seine Antwort erwartete, nervös auf und ab. Dann blieb er abrupt stehen und richtete den
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