Schwerter der Liebe
werden und sich in ihr neues Leben einzugewöhnen. Es gab niemanden, der sich für sie interessierte, daher waren sie recht leicht zufriedenzustellen. Von denen, die sie hergeschickt hatten, waren sie zudem auch nicht ermutigt worden, anspruchsvoll zu sein. Die attraktivsten Frauen konnten natürlich unter den vielen interessierten Männern wählen und traten auch als Erste vor den Altar. Marie Therese weckte das Interesse eines Hauptmanns, eines Regierungsvertreter und eines Plantagenbesitzers. Sie entschied sich für den Letzteren.«
»Wohnten sie in der Stadt?«
»Nein, er brachte sie zu seiner Indigoplantage am Fluss. Ihr war das so auch lieber, da sie kein Interesse hatte, sich unter die sogenannte Gesellschaft zu mischen. Erst ihre Tochter kam in die Stadt, und ihre Enkelin war diejenige, die dieses Stadthaus baute.«
»Die Familie muss Vermögen angesammelt haben, also dürfte sie auch entsprechend zum Inhalt der Truhe beigetragen haben.«
»Eine meiner Vorfahrinnen gestattete ihrem Ehemann, einen Blick hineinzuwerfen. Oder besser gesagt: Sie konnte ihn nicht davon abhalten. Sie und ihre sechs Kinder erkrankten an Cholera, nur die älteste Tochter überlebte. Eine andere nahm etwas heraus, das ihre Tochter bei ihrer Heirat tragen sollte. Der Bräutigam kam bei einem Bootsunfall ums Leben, als er flussaufwärts unterwegs war, um Verwandte zu besuchen. Damit erbte die Tochter die Truhe, die als Zweite heiratete.«
»Also ein todbringender Fluch.«
»Manchmal, aber nicht immer. Der jüngere Bruder meiner Mutter entwickelte eine Besessenheit, was die Truhe anging, seit er wusste, dass dieses Privileg nur für seine Schwester galt. Damals war er acht Jahre alt. Am nächsten Tag schlich er sich ins Zimmer meiner Großmutter, um in die Truhe zu sehen. Anschließend brach er sich einen Arm, als er auf dem Geländer des Laubengangs zu balancieren versuchte und dabei stürzte.«
Nicholas musste unwillkürlich grinsen und schüttelte den Kopf. »Er klingt nach einem Lausbuben, der ohnehin in Unfälle verwickelt worden wäre.«
»Das war er auch nach allem, was ich noch in Erinnerung habe. Er ertrank, als er während eines Hochwassers den Fluss überqueren wollte. Damals war ich noch ziemlich klein, aber ich weiß, wie bestürzt meine Mutter deshalb war. Natürlich machte sie für seinen Tod auch den Fluch verantwortlich.«
»Meine Großeltern waren auch abergläubisch, und meine Mutter ebenfalls. Sie glaubten an den bösen Blick und an die Kraft von Mutters Spucke, um die Kinder zu beschützen, und vieles mehr. Dennoch sollte ich Ihnen sagen, dass ich für solche Dinge nur wenig Verständnis aufbringen kann. Unglücke geschehen nun einmal, dafür braucht es keinen mystischen Fluch.«
Mit ernster Miene sah sie ihn an. »Aber Sie würden sich nicht über den Aberglauben hinwegsetzen, nur um das zu beweisen, oder?«
»Ich würde es keinesfalls machen, wenn Sie das nicht wünschen. Mein einziges Interesse gilt Daspit und warum er so entschlossen ist, diese Truhe an sich zu reißen. Ich möchte wissen, ob sie etwas an sich hat, was uns nicht aufgefallen ist.«
»Und was glauben Sie?«
Die Truhe war recht schwer, aber wiederum nicht schwer genug, als dass sich Gold oder Silber in ihr befinden könnte. Edelsteine waren die beste Methode, um Vermögen zu transportieren, doch sie hätte man sicher schon vor langer Zeit entnommen, als sich eine Gelegenheit dazu bot. Seine Erfahrung mit Frauen brachte ihn zu der Ansicht, dass sich in der Truhe die gleichen wertlosen Erinnerungsstücke befanden, wie sie ältere Frauen in ihren Schmuckkästchen und Hutschachteln aufbewahrten. Alte Taschentücher und Bänder von längst verstorbenen Verehrern, zerbrochene Fächer und Schuhschnallen, vergilbte, gebündelte Briefe, ein Stück Spitze und Knöpfe aus Holz, Knochen oder Perlmutt, Stopfpilze und rostige Sticknadeln. Manches davon war vielleicht wegen seines hohen Alters interessant, stellte aber beileibe keinen Schatz dar, es sei denn, man stammte aus der Familienlinie.
»Ich glaube, ich muss mich gründlicher mit dem Verlobten Ihrer Schwester beschäftigen«, erklärte er schließlich.
»Sie werden aber auf sich aufpassen, nicht wahr? Er ... ich glaube, er ist zu allem fähig, wenn es darum geht, seine Interessen zu wahren.«
Nicholas bewegte seinen Arm ein wenig und musste daran denken, wie recht sie mit ihrer Warnung hatte. »Ich werde alle notwendigen Vorkehrungen treffen. Aber es ist bereits spät, und ich sollte jetzt
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