Schwerter der Liebe
tiefe Schatten tauchten. Erleichtert stellte Nicholas fest, dass sich auch der kleine Gabriel bei der Gruppe befand. Als er sich näherte, stand Squirrel auf, machte eine finstere Miene und stemmte die Hände in die Hüften.
Nicholas betrachtete den Jungen und fragte sich, was ihm wohl durch den Kopf ging. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass Squirrel allmählich erwachsen wurde. Er musste jetzt fast fünfzehn sein, sah aber älter aus und war im Laufe des letzten Jahres regelrecht in die Höhe geschossen. Seine Größe und seinen langgliedrigen Körperbau hatte er vermutlich von irgendeinem Kaintuck geerbt, wie man die Bootsleute hier auf dem Fluss nannte. Nicht mehr lange, dann würde er sich von den anderen Straßenjungs verabschieden und eine Arbeit suchen müssen. Schon jetzt machte seine Größe andere Ladenbesitzer und die Nachtwächter nervös. Es hatte ein paar Zwischenfälle gegeben, bei denen Nicholas hatte eingreifen müssen. Nie war es etwas von wirklicher Bedeutung — hier ein paar Teilchen, die aus einer Patisserie verschwunden waren, dort ein Paar Stiefel -, aber ärgerlich und beunruhigend war es dennoch. Sollte Squirrel sich wirklich in Schwierigkeiten bringen, dann würde das Gesetz ihn wie einen Erwachsenen behandeln, und das bedeutete, er konnte ins Gefängnis kommen oder sogar am Strick enden.
Nur wenige würden davon Kenntnis nehmen oder gar besorgt sein, aber Nicholas wäre einer dieser wenigen. Squirrel erinnerte ihn an sich selbst in jenem Alter. Irgendetwas musste unternommen werden.
Caid und Lisette - das musste er sich eingestehen - würden auch in Sorge um ihn sein. Squirrel und die anderen hatten noch immer Zugang zu deren Stadthaus, was sie meistens an verregneten Tagen ausnutzten, wenn Nicholas Fechtunterricht erteilte und in seinem Fechtsalon ein ständiges Kommen und Gehen herrschte. Sie waren auch besonders gut darin, stets an den Morgen aufzutauchen, wenn die
Köchin der O'Neills damit beschäftigt war, für die Woche zu backen.
Doch Lisette und der Ire hatten jetzt eine eigene Familie, und auch wenn sie nach Nicholas' Kenntnis nichts unternahmen, um die Straßenjungs davon abzuhalten, zu ihnen nach Hause zu kommen, fand sich die Bande doch immer häufiger bei ihm ein. Zum Teil hatte das wohl mit dem Fechtunterricht zu tun, den er ihnen gab, wenn es die Zeit erlaubte. Vor allem Squirrel war ein sehr gelehriger Schüler, und es mochte durchaus so sein, dass er eines Tages mit dem Fechten Geld verdienen würde. Es wäre eine passende Entwicklung, hatte Nicholas doch auch den Weg dazu gefunden, als er vor vielen Jahren im Fechtsalon eines anderen Meisters in Rom herumlungerte.
Wenn er seinen Salon aufgab und ihn einem anderen Fechtmeister überließ, was sollte dann aus Squirrel und den anderen werden? Als einzige Lösung sah er nur den Weg, die ganze Bande zu adoptieren. Eine Ehefrau, die zusammen mit ihm auf die Jungs aufpassen und die sich ihnen mütterlich annehmen konnte, erschien ihm eine nützliche Ergänzung zu sein. Doch bislang war die Ausführung eines solchen Plans daran gescheitert, dass sich keine Frau finden ließ, von der er glaubte, sie würde eine solche Familie aus schrägen Vögeln annehmen. Juliette Armant brauchte ihn vielleicht mindestens so sehr, wie er sie brauchte, dennoch fürchtete er, eine Andeutung seiner Absichten könnte genügen, um sie zu veranlassen, die getroffene Vereinbarung für nichtig zu erklären.
»Bien, M’sieur Nick, da sind Sie ja wieder.«
»Wie du siehst. Habt ihr schon lange gewartet?« Nicholas betrachtete kurz Squirrels Gesicht, wobei ihm dessen streitsüchtig vorgeschobene Unterlippe nicht entging.
»Lange genug.« Der Junge schaute kurz weg, dann blickte er ihn wieder an. »Gaby sagt, Sie hätten ihn heute Morgen gejagt.«
Nicholas verzog den Mund. »Er aß irgendwelche Reste aus der Gosse, und er roch auch so. Ein Bad schien da angebracht.«
»Er dachte, Sie wollten ihn verprügeln.«
»Dachte er das?« Er sah zu dem kleinen Jungen, der sich hinter der Gruppe zu verstecken versuchte. »Wenn er von diesen Abfällen krank wird, dann wird das viel schlimmer sein als alles, was ich ihm antun könnte.«
»Ich habe ihn gefunden, ich bin für ihn verantwortlich«, erklärte Squirrel, während er die Schultern straffte. »Niemand fasst unseren Gaby an.«
Es entsprach der Wahrheit, dass die Bande den Jungen gefunden hatte. Er schlief in einer Holzkiste, offenbar hinter einer der Hütten in der Gallatin Street ausgesetzt, in
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