Schwerter der Liebe
gehässig.«
»Du meinst, schlimmer als üblich?«, fragte Nicholas mit einem Anflug von Ironie. Die Gegend war nicht für ein freundschaftliches Miteinander bekannt.
»Es heißt, er greift schnell zur Peitsche. Das gefällt ihm. Vor allem bei Frauen.«
Die anderen Jungs sahen in alle Richtungen, bloß nicht zu Nicholas, was ihm natürlich nicht entging. »Bei Frauen?«, wiederholte er leise.
»Zum Beispiel bei Gabys Mutter. Die schlägt er auch. Sie müssen Sachen für ihn machen. Er ...»
»Ich verstehe schon«, unterbrach er ihn. In seinen Worten schwang der Groll darüber mit, dass Squirrel Dinge wusste und als Tatsache akzeptiert hatte, die kein Junge in seinem Alter überhaupt wissen sollte.
»Da muss was passieren«, fuhr der Junge fort, dessen Stimme aller Wut zum Trotz einen Moment lang versagte. »Mütter sollten nicht sterben.«
Das sollten sie wirklich nicht, und doch war davon auszugehen, dass praktisch keiner der Jungs an seinem Tisch noch eine Mutter hatte. Die Trauer war jedem Einzelnen von ihnen anzusehen, ganz gleich, wie sehr sie es zu verbergen schienen. Der Anblick versetzte Nicholas einen solchen Stich, als hätte ihm jemand ein rostiges Messer mitten ins Herz gejagt.
»Ich werde mich darum kümmern«, sagte er. »Das verspreche ich euch.«
»Jawohl«, rief einer der Jungs.
Squirrel sah die anderen der Reihe nach an, dann machte er eine knappe Kopfbewegung. »Wir müssen los.«
Keiner von der Straßenbande widersprach, stattdessen nahmen sie sich ihr Essen und verließen im Gänsemarsch die Küche. Sobald sie durch die Tür waren, konnte Nicholas hören, wie sie untereinander zu tuscheln begannen. Gabriel war der Letzte in der Reihe, doch er stopfte sich erst noch das restliche Brot und die Sardinen in den Mund, dann griff er mit seiner schmutzigen Hand nach dem Stück Käse und eilte den anderen nach.
»Warte!«, rief Nicholas und folgte ihm.
Der Junge blieb nicht stehen und sah auch nicht hinter sich, sondern holte Squirrel ein und versuchte, mit dessen weit ausholenden Schritten mitzuhalten. Offenbar sah er in dem Anführer der Gruppe einen Helden. Nicholas vermutete, Gabriel würde kratzen, beißen und schreien, wenn er versuchen sollte, ihn festzuhalten, und die anderen würden ihm dabei wohl noch helfen. Zwar hatte er keine Zweifel daran, dass er sich gegen deren Protest durchsetzen konnte, doch was sollte dann sein? Der Jüngste der Bande war nur dann wirklich in Sicherheit, wenn Nicholas ihn einschloss, aber genau das widerstrebte ihm. Gabriel war in seinem jungen Leben schon schlecht genug behandelt worden.
»Squirrel«, rief Nicholas, »pass auf den Jungen auf.«
Der hielt kurz inne und drehte sich um. »Das werde ich machen«, entgegnete er mit leicht heiserer Stimme. »Ich habe geschworen, mich um ihn zu kümmern.«
Nicholas fluchte leise, als er der Gruppe nachsah, doch es änderte nichts an seinem unguten Gefühl.
Fünftes Kapitel
Seit fast drei Tagen hatte Juliette von Nicholas Pasquale weder etwas gesehen noch ein Wort gehört. Natürlich hatte sie nicht erwartet, dass er vor der Tür sitzen und auf sie warten würde, dennoch war es beunruhigend. Möglicherweise war er doch noch umgeschwenkt und hatte kalte Füße bekommen, wie es bei manchen Männern geschieht, wenn sie daran denken, dass sie den Rest ihres Lebens mit einer einzigen Frau verbringen sollen. Wenn dem so war, sollte er wenigstens so viel Anstand besitzen, sie das wissen zu lassen.
Es bestand allerdings auch die Möglichkeit, dass er auf eine Nachricht von ihr wartete. Immerhin hatte er ihr das letzte Wort in dieser Angelegenheit überlassen. Dennoch ging man für gewöhnlich davon aus, dass der Gentleman sich bei der Lady meldete. Wenn sie ihm eine Nachricht zukommen ließ, seine Anwesenheit sei vonnöten, dann konnte das den Eindruck erwecken, sie sei verzweifelt. So sehr das auch zutreffen mochte, würde sie es hassen, in einem solchen Licht dazustehen.
Es war aber auch die bedauernswerte Wahrheit, dass sie auf einen Vorwand hoffte, um eines der Kleider von Madame Ferret zu tragen. Das erste von ihnen war an diesem Morgen geliefert worden, die anderen kurz darauf. Sie und Valara hatten ungeduldig die Kartons geöffnet und das Seidenpapier zur Seite geschoben, um die Kleider herauszuholen und auf Juliettes Bett auszubreiten.
Das letzte Mal, dass Juliette von einem Kleidungsstück so verzaubert war, lag weit zurück, als sie noch ein Kind gewesen war und sie die Schals und Capes, Hüte und
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