Schwerter und Rosen
Frau ins Innere des immer noch stark nach Rauch riechenden Gebäudes folgte, und ohne es zu wollen, ließ er den Blick über die beträchtliche Zerstörung wandern. Die Treppe, welche ins Obergeschoss geführt hatte, war bereits ersetzt worden, und auch die verkohlten Dielenbretter waren hellem Holz gewichen. Junge Burschen in weiten Gewändern waren gerade dabei die rußgeschwärzten Wände zu waschen und mit einem frischen Anstrich zu versehen, während Dienstmägde eifrig den Boden schrubbten. Zuerst hatte er mit sich gerungen, ob er das Haus eines Juden betreten sollte. Aber die Liebe zu dem unbekannten Mädchen, die mit solcher Macht Gewalt über sein Herz ergriffen hatte, dass er nicht wusste, ob er schlief oder wachte, war stärker als alle Bedenken, die sein Verstand ihm einzuflüstern versuchte. Zwar schämte er sich seines zerschlissenen Äußeren. Doch das wenige Geld, das ihm blieb, musste er sich aufsparen, um Kost und Logis zu bestreiten. Daher hatte er sein Bestes getan, den durch einen hässlichen Brandfleck verunstalteten Umhang mit dem Emblem des Templerordens so zu drapieren, dass die Beschädigung nicht auffiel. Allerdings fanden die trotz ihrer offensichtlichen Müdigkeit wachen Augen der Frau, die so etwas wie eine Haushälterin zu sein schien, den Makel mit der Zielsicherheit eines herabstürzenden Falken. »Hier entlang.« Ein erschöpft wirkendes Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie ihm die Tür zu einem Zimmer im unbeschädigten Teil des Erdgeschosses öffnete und ihm den Vortritt ließ.
Dort lag sie! Regungslos wie eine Tote. Hätte nicht ihr ruhiges, tiefes Atmen die Brust in regelmäßigen Abständen gehoben und gesenkt, hätte man sie für aufgebahrt halten können. Ein durch einen orangefarbenen Seidenvorhang gefärbter Sonnenstrahl spielte auf ihrem friedlichen Gesicht, während eine leise, durch die offenen Fenster hineinwehende Brise, ihr langes, offenes Haar streichelte. Die Wände der Kammer zierten fein gewobene Behänge, welche – ebenso wie die von dem Brand zerstörte Malerei an der Außenwand des Gebäudes – die Entstehungsgeschichte der Welt zum Inhalt hatten. Von zwei Fenstern eingerahmt reichte Eva einem einfältig lächelnden Adam den Apfel, während sich eine beinahe smaragdgrüne Schlange um den Stamm eines Baumes wand. Über dem Kopf der Kranken begaben sich die Vertreter des Tierreiches in eine viel zu klein wirkende Arche. Diskret zog sich Curds Begleiterin durch eine Tür in ein Nebenzimmer zurück, ließ jedoch zwei der männlichen Bediensteten am Eingang des Gemaches Aufstellung nehmen, damit der Besucher nicht alleine war mit dem Mädchen. Bevor sie die Tür hinter sich zuzog, nickte sie dem Tempelritter zu und sagte ruhig: »Nicht länger als ein paar Minuten. Sie braucht immer noch viel Ruhe.« Curd nickte, schluckte trocken und trat näher an die breite, diwanähnliche Bettstatt heran, auf der die Gerettete ruhte. Unter ihren geschlossenen Augen lagen dunkle Schatten, und die langen, wundervoll geschwungenen Wimpern hoben sich scharf von dem blutleeren Gesicht ab. Ihre schlanke Gestalt zeichnete sich deutlich unter der dünnen Leinendecke ab, und Curd hatte Mühe, die Hände an seiner Seite zu halten. Am liebsten hätte er sie berührt, hätte versucht, seine Lebenskraft auf sie zu übertragen und ein Wunder zu vollbringen, von dem er wusste, dass es unmöglich war. Er schluckte schwer und sah eine Zeit lang einfach nur schweigend auf sie hinab.
Schließlich, nach einer scheinbaren Ewigkeit, räusperte er sich und ließ sich auf dem Schemel neben ihrem Lager nieder, um der Versuchung wenigstens im Ansatz nachzugeben. Nachdem ein Blick über die Schulter ihm versichert hatte, dass die Diener ihrer Aufgabe – vermutlich aus Furcht vor dem hochgestellten Besuch – nur halbherzig nachkamen, ergriff er eine der auf dem Bauch gefalteten Hände. Die Berührung sandte ein kaltes Rieseln über seinen Rücken. Wie zart und zerbrechlich sie ist!, ging es ihm durch den Kopf, während er beruhigend ihren Handrücken streichelte. Ein Gefühl, das keiner Empfindung ähnelte, die er kannte, ergriff Besitz von ihm und ließ ihm die Kehle eng werden. Nur mühsam schluckte er die Tränen, die ihm die Luft abschnüren wollten. »Bitte, werde wieder gesund«, flüsterte er heiser und drückte einen trockenen Kuss auf ihre Fingerkuppen, bevor er auch die Linke aufnahm und mit seinen beiden Pranken umschloss. Ich kann ohne dich nicht leben, fügte er in Gedanken hinzu. Ohne
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