Schwerter und Rosen
dachte er etwas zuversichtlicher und begann, die quadratische Halle zu durchmessen.
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Fast zwei Stunden waren vergangen, und inzwischen hatte sich Finsternis über die geschäftige Stadt gelegt. Lakaien, die Harold keinerlei Aufmerksamkeit zollten, hatten die zahlreichen Fackeln entlang der Wände entzündet. Und immer mehr Männer strömten in die Burg, um sich zur Ruhe oder zum Abendessen zu begeben. Harold, dessen Magen sich vor Hunger schmerzhaft zusammenkrampfte, hatte sich nach einiger Zeit in eine Ecke neben eine prächtige Zierrüstung gekauert, um die müden Beine zu entlasten und gelangweilt an den Fingernägeln zu kauen. Neugierig beobachtete er die kleinen Grüppchen sich angeregt unterhaltender Ritter und Edelleute und vertrieb sich die Zeit damit, die Wappen zu identifizieren, die er kannte. Beinahe alle wichtigen Earls und Barone schienen inzwischen eingetroffen zu sein, um die Ankunft des neuen Königs mitzuerleben. Ob er wirklich so jähzornig war, wie man sagte? Selbst in Sherwood Forest hatten Gerüchte über den heißblütigen Thronerben kursiert, und oft hatte Harolds Vater missfällig den Kopf geschüttelt, wenn einer seiner Ritter ihm von den neuesten Eskapaden der Söhne Henrys berichtet hatte.
Die Zeit verstrich und bald leerte sich die Halle, bis Harold allein und inzwischen vor Erschöpfung fröstelnd zurückblieb. Wo steckte Guy?, fragte er sich zum wiederholten Male und beschloss, ein wenig in die Tiefen der Festung vorzudringen. Sicherlich würde Guy auf ihn warten, wenn er ihn nicht dort vorfand, wo er ihn zurückgelassen hatte. Gähnend erhob er sich und streckte die müden Glieder, ehe er langsam in Richtung Osten davonschlenderte. Ein seltsamer Geruch strömte von den Wänden aus und vermischte sich mit dem schweren Duft der Pechfackeln und dem Aroma der im Küchentrakt zubereiteten Speisen. Als der Knabe gerade in einen der vielen dunklen Gänge eintauchen wollte, vernahm er über sich die gedämpften Geräusche eines Kampfes und wenige Augenblicke später den dumpfen Aufschlag eines Körpers in der Eingangshalle, die er soeben verlassen hatte. Mit klopfendem Herzen eilte er ins Dämmerlicht der Fackeln zurück und erblickte ein dunkles, regungsloses Häufchen zerschmetterter Glieder am Fuß der breiten Holztreppe. Ohne zu zögern, hastete er auf den Gestürzten zu und kniete sich neben ihn, um ihm den Puls zu fühlen. »Herr?«, fragte er mit bebender Stimme und zuckte zusammen, als die Gestalt ein gequältes Stöhnen von sich gab. »Meuch-.« Die Stimme des Schwerverletzten erstarb, als ihm Blut aus dem Mund quoll. »Erz-.« Entsetzt blickte Harold auf die sich langsam ausbreitende Lache hinab, fing sich jedoch und beugte sich tiefer – das Ohr dicht am Mund des Gefallenen. Doch dieser war bereits tot. Eiskalte Panik schlug bei dieser Erkenntnis über dem Knaben zusammen. Und als er auf der Balustrade über sich eine hastige Bewegung ausmachte, sprang er auf und rief heiser: »Oh, mein Gott, helft mir!«
Die Zitadelle von Jerusalem, August 1189
Die mächtige, im Westen der Stadt gelegene Zitadelle erschien Salah ad-Din an diesem Tag seltsam beengt. Deshalb hatte sich der Sultan schon früh am Morgen, gleich nach dem ersten Gebet des Tages, auf den gewaltigen Turm an der Nordseite der Festung zurückgezogen, um über die jüngsten Entwicklungen nachzusinnen. Unter ihm fiel der Hügel, auf dem die uralte Festung mit den drei massiven Verteidigungstürmen von Herodes dem Großen errichtet worden war, schroff ab. Und wie schon beim ersten Mal, als er nach der Eroberung der Stadt an dieser Stelle gestanden hatte, erfüllte die Majestät der judäischen Berge den kurdischstämmigen Herrscher mit tief empfundener Ehrfurcht. In weiter Ferne kreisten Raubvögel über dem breiten Lauf des Soreq, der sich zwanzig Meilen weiter westlich mit dem Mittelmeer vereinigte. Knorrige Bäume säumten das Ufer des zurzeit ungewöhnlich seichten Flusses, der von den torkelnden Binsenbooten der Bauern übersät war, die ihre Ernte zu den entfernteren Märkten transportierten. Weiter nördlich warfen die Helme und Brustpanzer einer berittenen Delegation gleißend das Licht der Sonne zurück, als sich die Bewaffneten daran machten, den Anstieg zur Hauptstadt des Reiches zu erklimmen. Geistesabwesend glitten Salah ad-Dins Fingerkuppen über den rauen Stein der Zinnen, während er das Auge schweifen ließ und die Weite des umliegenden Landes in sich aufsog.
Die Nachricht von der
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