Schwerter und Rosen
wieder die Besinnung verloren. Doch dann bewegten sich ihre Lider ein weiteres Mal, und sie wandte den Kopf in seine Richtung. Fragend und erkennend zugleich sah sie ihn eine Weile einfach nur an, dann huschte ein schwaches Lächeln über ihr Gesicht.
»Mein Schutzengel«, flüsterte sie und streckte tastend die Hände nach der verschwommenen Gestalt aus, deren weißer Umhang wie ein Federkleid um die ausladenden Schultern lag. Um den dunklen Schopf, der vom Licht der Sonne, die durch das Fenster in seinem Rücken fiel, erleuchtet wurde, lag ein Kranz aus feinen, leuchtenden Härchen, die dem Tempelritter ein beinahe überirdisches Aussehen verliehen. Vorsichtig, beinahe ehrfürchtig berührte sie seinen Arm und fuhr prüfend den rauen Stoff seines Gewandes nach, bis sie an seinem Handgelenk innehielt. »Ich bin kein Engel«, widersprach Curd sanft und nahm eine der schlanken Hände in die Seine, während sein Blick wie gebannt auf den blassen Zügen der Kranken lag. Verwirrung und leiser Ärger über diese Behauptung ließen Falten auf die glatte Stirn des Mädchens treten, als es versuchte, die an ihrem Bett sitzende Gestalt genauer in Augenschein zu nehmen. »Doch«, beharrte sie stur und zog die Rechte zurück, um sie auf die Brust zu legen. »Ihr habt mich aus dem Feuer getragen.«
Lächelnd schüttelte Curd den Kopf. »Ich habe Euch zwar aus den Flammen befreit, aber ich bin gewiss kein Engel«, erwiderte er abwehrend. Der unverwandt auf ihm ruhende Blick machte ihn nervös, und er fuhr sich verlegen mit der freien Hand über die widerspenstigen Locken. Lange hatte er darüber nachgegrübelt, wie er es vor seinen Glaubensbrüdern rechtfertigen konnte, dass er die Tochter eines Juden liebte. Doch selbst intensive Zwiesprache mit Gott – die allerdings, wie in letzter Zeit so oft, fruchtlos geblieben war – hatte ihm keine Lösung für sein Problem aufgezeigt. Das leuchtende Blaugrün ihrer Augen schien ihn in die Tiefe zu ziehen wie ein reißender Strudel. Eine Strähne ihres Haares hatte sich verirrt, und nur mit äußerster Mühe widerstand er der Versuchung, sie ihr von der Wange zu streichen. Auf keinen Fall wollte er sie erschrecken. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er sich vorstellte, was geschehen wäre, wenn sie nicht wieder erwacht wäre. Was geschehen wäre, wenn sie ihn verlassen hätte, bevor er ihr mitteilen konnte, wie sehr er sie liebte! Ihre zerbrechliche Schönheit und Hilflosigkeit versetzten ihm einen Stich, als sie versuchte, sich in den Kissen aufzurichten. Immer noch geschwächt von den – bis auf eine kleine Brandnarbe an ihrem linken Unterarm – gut verheilten Verletzungen, fiel es ihr offenbar schwer, die nötige Kraft aufzubringen, und er kam ihr hastig zur Hilfe. Nachdem sie sich seufzend gegen die Kissen gelehnt hatte, kniff sie erneut blinzelnd die Lider zusammen und tastete seine Züge forschend ab, bis sie schließlich leicht errötete und die Lippen zu einem Lächeln verzog. »Ihr habt wohl recht«, wandte sie ein. »Ihr seid kein Engel. Wie töricht von mir!« Kaum merklich schlossen sich ihre Finger um die seinen, und einen wundervollen Moment lang sahen sie sich einfach nur schweigend an.
Was er in ihren Augen las, ließ eine Welle der Glückseligkeit in ihm aufsteigen. Eine Mischung aus Dankbarkeit, Bewunderung und etwas anderem, das ihn schwindelig machte, lag in dem Blick, den sie schließlich schüchtern niederschlug. Wenn es nicht eine grobe Missachtung der Anstandsregeln gewesen wäre, hätte Curd lauthals jubiliert, da dieser eine Blick all das ausdrückte, was er sich in den vergangenen Wochen erträumt und ersehnt hatte. Die kleine Hand, die in der seinen lag, zitterte leicht, und die junge Frau schien sich nicht sicher, was sie als nächstes sagen sollte. Aber die kaum wahrnehmbare Röte, welche ihre Wangen überzog, sprach mehr, als tausend Worte es jemals gekonnt hätten. Sachte presste er seinen Daumen in ihre kühle Handfläche und beugte sich über sie, um ihr einen eher brüderlichen Kuss auf die makellose Stirn zu drücken. Das hörbare Zischen, mit dem Rahel dabei die Luft durch den Mund einzog, verriet ihm, dass er sich nicht getäuscht hatte. »Ihr müsst jetzt gehen«, unterbrach Dajas leise Stimme unvermittelt den wortlosen Austausch, und Curd zuckte zusammen wie ein ertapptes Kind. »Kommt morgen wieder, dann wird es ihr sicher schon besser gehen.« Nachdem einige Atemzüge lang keiner der beiden eine Reaktion zeigte, erhob sich der
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