Schwerter und Rosen
leichtsinnig genug war, sich in dieses Höllental zu begeben, Schatten, und hätte nicht eine Hügelkette am Horizont die Eintönigkeit unterbrochen, wäre der Eindruck der Unendlichkeit vollkommen gewesen. Ein heiseres Stöhnen entrang sich der Kehle des zwischen vier kurzen Holzpflöcken auf dem glühenden Boden festgebundenen Gefangenen, bevor er blinzelnd die verkrusteten Lider öffnete. Außer gleißender Helligkeit, die sich mit Nadeln in sein Gehirn zu bohren schien, und den in der Ferne flimmernden Bergen konnte er in dem kurzen Augenblick, den seine gemarterten Sinne ihm gönnten, nichts wahrnehmen, das seine Verwirrung zu zerstreuen vermochte. Erschöpft schloss er die Augen wieder und versuchte, sich zu erinnern, wie er in diese fatale Lage geraten war.
Noch vor fünf Tagen hatten seine Entführer ihn mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt und in einer nur wenige Meilen entfernten Oase fürstlich bewirtet. Kurz nachdem Nathans Karawane in den Hinterhalt geraten war, in dem Ilan verletzt worden war, hatte sich herausgestellt, dass es sich um Banditen und nicht um Schergen des Sultans handelte, die auf diese Art und Weise Gelder für den Krieg gegen die Ungläubigen auftreiben wollten. Das einzige Interesse, das seine Entführer antrieb, war Habgier. Doch nach einigen Tagen – als deutlich geworden war, dass die Treiber der zwanzig entkommenen Kamele entgegen der Prophezeiungen des vornehmen Gefangenen nicht zu ihrem Herrn zurückkehrten – hatte der Anführer der Räuber beschlossen, ihnen einen größeren Anreiz zu bieten. Nachdem sie aufgrund der die Wüste durchstreifenden Suchtrupps nicht weiter geflohen sein konnten als bis in die nächste Stadt, hatte er drei seiner besten Reiter ausgesandt, um den Juden die Nachricht zu übermitteln, dass das Leben ihres Herrn davon abhing, wie schnell sie ihm, dem Aga, wie er sich hochtrabend nannte, die mit Gold und kostbaren Stoffen beladenen Kamele übergaben.
Doch bis jetzt hatte sich noch nichts getan. Heißer Schmerz durchzuckte Nathans ausgedörrten Körper, als er versuchte, sein linkes Bein, das von einem Krampf gelähmt wurde, wenige Zoll zu bewegen. Sowohl Hand- als auch Fußgelenke waren von den groben Stricken, mit denen man ihn gefesselt hatte, schon längst blutig gescheuert. Und wenn man ihn nicht bald losband, würden sich die Wunden infizieren, vereitern und den Mücken einen idealen Ort zur Eiablage bieten. Die Haut seines bis auf ein Lendentuch nackten Körpers war von großflächigen, schmerzenden Blasen übersät, die an Brust und Oberschenkeln bereits aufgeplatzt waren. Feucht und klebrig rann das zähe Wundwasser an ihm hinab und hinterließ Spuren in dem schmutzigen Staub, bevor es nach nur wenigen Fingerbreit verdunstete. Bart und Haupthaar des Juden waren verfilzt, und immer wieder spürte er, wie winzige Wüstenbewohner sich darin einnisteten, nur um kurz darauf durch den Sand davonzuhuschen.
»Herr, erlöse mich«, murmelte er schwach, bereute die Worte allerdings sofort, da seine zu ihrer doppelten Größe angeschwollene Zunge bei der ungewohnten Benutzung ein Stück Haut aus seinem Gaumen riss. Warum waren seine Männer noch nicht eingetroffen?, fragte er sich zum wiederholten Male voller Verzweiflung, während er sich ausmalte, was sie aufgehalten haben könnte. Sollte das Undenkbare geschehen sein? Eine kalte Hand griff nach seinem nur noch langsam schlagenden Herzen, als er an die Folgen eines Verrats dachte. Hatte er sie nicht immer gut behandelt? Nicht ein einziges Mal hatte er seine Sklaven oder Diener geschlagen, wie es so viele der anderen Händler zu tun pflegten. Die Entlohnung, die er selbst den ärmsten und niedrigsten unter ihnen zugestand, hatte schon oft dafür gesorgt, dass ihn die weniger reichen Tuchhändler missfällig beäugten und einen Narren schalten. Stöhnend zwang er sich erneut, die grauen Augen zu öffnen und den immer enger kreisenden Flug der Geier zu verfolgen, um nicht wieder das Bewusstsein zu verlieren. Während Furcht, Verzweiflung und Hoffnung in seinem Inneren Widerstreit hielten, vollendete die stechende Sonne ihren Lauf und versank hinter den schroffen Gipfeln im Norden. Obwohl ihn beim Anblick des feurigen Schweifes Erleichterung durchflutete, wusste Nathan doch zu genau, dass die Nacht ebenso viel Qual und Schrecken bereithielt wie der Tag.
Jerusalem, Die Zitadelle, Oktober 1189
Mit einem leisen Laut der Zufriedenheit bog Shahzadi den schlanken Hals zurück und bot ihrem
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