Schwerter und Rosen
mussten sich neue Wege finden lassen, um diesen endlosen Krieg zu finanzieren.
London, White Tower, November 1189
Mit sorgenschwerem Herzen lehnte Harold am wetterrauen Holz der Einzäunung des Schießplatzes und beobachtete die lauthals prahlenden und grölenden Bogenschützen dabei, wie sie ihre Zielfertigkeit mit dem Langbogen unter Beweis stellten. Da sie in den Farben ihrer Herren gewandet waren, war es nicht schwer für ihn, die von seinem Vater und dem benachbarten William of Loxley gestellten Männer in dem Gewimmel ausfindig zu machen. Er musste wider Willen lächeln, als der hünenhafte Hugh, der Wildhüter seines Vaters, die anderen zum wiederholten Male ausstach und die rot bemalte Mitte der Strohscheibe auch mit seinem zehnten und letzten Pfeil durchbohrte. »Gratuliere!« Herb droschen die Umstehenden dem flachsblonden Schützen auf den Rücken und begafften seinen Bogen, während dieser seinem jüngsten Sohn entgegeneilte, um ihm die selbst befiederten Geschosse aus der Hand zu nehmen. Am entgegengesetzten Ende des Platzes übten sich einige der erst vor Kurzem zum Ritter geschlagenen Kämpfer im Schwert und Lanzenkampf, und so manch einer war bereits blutend und unter wüsten Flüchen in Richtung Festung davongehumpelt.
Der mit bleigrauen Wolken verhangene Himmel verkündete weiteren Regen, und als eine eisige Böe ihm mit kalter Hand in den Nacken fuhr, schlug Harold fröstelnd den Kragen seines Surkots hoch. Die Eichen und Linden boten den Herbstwinden mit ihren kahlen Ästen keinen Widerstand, und so heulte und pfiff der Sturm an diesem Tag ungehindert über den aufgeweichten Hof und durch die von dornigen Kletterrosen umrankten Bogengänge. Die vor den mächtigen Toren der Festung fließende Themse hatte seit Tagen Hochwasser, und wenn der Regen weiter in solchen Mengen fiel, dann würden die Soldaten, Knappen und Ritter bald Wasser schöpfen müssen. Große Teile der Stadt standen bereits unter Wasser, was zur Folge hatte, dass die ärmeren Bewohner, die alles verloren hatten, zu Hunderten verhungerten. Hoch oben am Himmel zog soeben ein Schwarm verspäteter Zugvögel gen Süden, und als Harold ihnen mit zusammengekniffenen Augen nachblickte, fragte er sich, welches der vielen fremden Länder wohl ihr Ziel war.
In wenigen Tagen würde die inzwischen unübersichtlich gewordene Streitmacht des Königs nach Frankreich aufbrechen, wo sich Richard Löwenherz im März mit seinem jungen Widersacher, Philipp II. von Frankreich, treffen wollte, um gemeinsam ins Heilige Land zu ziehen. Noch war nicht ganz klar, wie die beiden Herrscher das seit jeher zwischen ihnen schwelende Misstrauen ausräumen wollten. Doch die Befürworter des Kreuzzuges taten diese Zweifel mit Verachtung im Blick ab. Die Verwaltung seiner englischen Besitztümer hatte Richard bereits vor einigen Tagen an den Kanzler, William Longchamp, übergeben, und Gerüchten zufolge würde seine Mutter, Aliénor von Aquitanien, in seiner Abwesenheit die Regentschaft übernehmen. Harold fröstelte erneut und schlang nun auch den warmen Mantel enger um die Schultern, bevor er einen tiefen Seufzer ausstieß. All seine Hoffnungen, die er seit der Begegnung mit Catherine de Ferrers gehegt hatte, waren in der vergangenen Woche zerschlagen worden. Kaum hatte er die von ihm bisher nur aus der Ferne Angebetete dazu gebracht, seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen, wurde sie ihm auch schon wieder entrissen! Denn wo die Königinmutter war, würde auch sie sein.
»Was für ein Mist«, schimpfte er leise und riss einen der dürren Grashalme aus, um lustlos darauf herumzukauen. »Was nuschelst du da in deinen nicht vorhandenen Bart?«, ertönte unvermittelt Guy de Brassards tiefe Stimme hinter ihm, und der Knabe wirbelte erschrocken herum, um dem Ritter in die lachenden Augen zu blicken. »Das ist nicht komisch«, brummte er und wandte sich erneut dem heiteren Getümmel auf dem Übungsplatz zu. »Ich habe mir schon gedacht, dass es dir auf den Magen schlägt«, stellte Guy unbeirrt fest und lehnte sich mit dem Rücken an die Umzäunung, um Harold in das starr abgewandte Gesicht zu sehen. »Was meinst du?«, fragte dieser lahm. Aber die Enttäuschung, die dabei in seiner Stimme mitschwang, verriet mehr als alle Worte. »Deine Trauermiene spricht mehr als tausend Worte«, frotzelte der hochgewachsene Guy, während er ebenfalls einen der vom Sommer verbrannten Grashalme abknickte. »Die anderen Knappen sind doch auch ganz nett«, versuchte er,
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