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Schwerter und Rosen

Schwerter und Rosen

Titel: Schwerter und Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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hatte, als Catherines Vater ihr eine neue geschenkt hatte. Außer ihren Stiefeln ruhten zwei Paar leichter Sandalen und ein Paar eleganter Tanzschuhe auf dem Boden der untersten Truhe. In zwei Tagen würden sie nach Dover aufbrechen, um von dort nach Calais überzusetzen und in Richtung Poitiers zu ziehen, wo die Damen zurückbleiben würden, während die Männer in Nonancourt mit dem französischen Teil des Kreuzfahrerheeres zusammentreffen würden. Zwar vermisste sie ihre Mutter, die bereits am Hof in Aquitanien weilte. Doch die immer wieder verdrängte Vorstellung, den Knappen des Earls of Essex nie wiederzusehen, verursachte ein weitaus stärkeres Gefühl, das sie mit einer Mischung aus Niedergeschlagenheit und Beklommenheit erfüllte. Obgleich sie sich lange einzureden versucht hatte, dass die Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, nur übersteigertes Mitleid oder der ins Gegenteil verkehrte Hass auf seinen Dienstherrn war, hatte sie diese verworrene Idee doch bald verworfen und war zu der Erkenntnis gekommen, dass sie ihr Herz an ihn verloren hatte.
    Mit Tränen in den grünen Augen trat sie ans Fenster ihrer Kammer und blickte auf den öde daliegenden Hof hinab, in dessen Schlammpfützen die toten Blätter der Bäume verrotteten. Eine Meute Jagdhunde zerrte an den Leinen ihrer Führer, und in der Nähe der Stallungen bestieg ein halbes Dutzend Ritter in Rüstung schwere Schlachtrösser. Einige der Männer waren bereits zur Küste aufgebrochen, um dort auf den König zu warten und noch Gelder für den Kampf gegen die Heiden aufzutreiben. Vielleicht war Harold of Huntingdon ja auch unter denjenigen, die durch den nicht enden wollenden Regen galoppierten, dachte sie bedrückt. Seit Tagen hatte die Stadt keine Sonnenstrahlen mehr gesehen, und der vom Fluss ins Land ziehende Nebel schien alles zu verschlucken. Missmutig drehte Catherine ihren breiten Gürtel zwischen den Fingern, während sie gleichgültig einen Streit zwischen zwei hitzköpfigen Knappen verfolgte, die sich um einen Lappen zu balgen schienen. Schließlich gewann der kleinere der beiden die Oberhand, stellte seinem Widersacher ein Bein und entwand ihm das Stück Tuch, mit dem er flink in die Stallungen verschwand.
    »Trödelt nicht so herum!« Die Stimme einer der älteren Hofdamen, die den erhitzten Kopf durch die Tür ihrer Kammer steckte, ließ das Mädchen zusammenfahren und sich erschrocken umblicken. Die aschblonden Haare der etwas dicklichen Lady waren zu einem konservativen Zopf geflochten, der halb unter einer hässlichen Haube versteckt war. Ihr praller Busen quoll über das eng einschneidende Untergewand und wurde nur mit Mühe und Not von einem steifen Obergewand an Ort und Stelle gehalten. Die stumpfen braunen Augen glitten in einer Bestandsaufnahme über den Boden der Kammer, bevor sie sachlich bemerkte: »Das Gepäck muss verladen werden.« Mit einem ergebenen Seufzer trat Catherine vom Fenster zurück, zurrte die Lederriemen fest und nickte einem von der untersetzten Dame herbeigewinkten Bediensteten zu, der daraufhin die Kiste schulterte und ohne viel Aufhebens aus dem Raum schleppte. »Lasst den Kopf nicht hängen«, versuchte die etwas herbe Frau sie aufzumuntern. »Die Reise ist gänzlich ungefährlich.« Ihr Doppelkinn wackelte, als sie den Kopf schüttelte. »Das Schlimmste wird vermutlich die Überfahrt.« Mit einem dankbaren Nicken trat Catherine zu ihr auf den Korridor hinaus und folgte ihr in die Halle hinab, aus der ihnen aufgeregtes Stimmengewirr und der Duft köstlicher Speisen entgegenschlugen.

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    »Vielleicht wäre es besser, auf Prinz John zu setzen.« Die Stimme seines Herrn schreckte Harold aus dem Schlaf und ließ ihn mit einem unterdrückten Keuchen auffahren. Nach den Anstrengungen des Tages war er in dem winzigen Kämmerchen, das er seit Rolands Tod für sich allein hatte, erschöpft eingenickt. »Er ist weitaus formbarer als Richard, und mit ihm hätten wir eine Wachspuppe in der Hand, die es uns leicht machen würde, unseren Machtbereich auszudehnen.« Vorsichtig, um sich nicht durch das Rascheln des Strohs zu verraten, kroch Harold zu der niedrigen Tür, die er offenbar nicht richtig ins Schloss gezogen hatte. Mit angehaltenem Atem schob er die Finger zwischen den schmalen Spalt. Als der schwache Schein des Feuers und der beiden zischenden Pechfackeln am Eingang einen dünnen Streifen auf den frisch gefegten Boden malte, presste er die Nase zwischen das Holz und die kalten Steinquader der Wand und

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