Schwerter und Rosen
Tag kein einziges Wölkchen trübte. Im Westen schmiegten sich die Dächer der alten Pilgerstadt Vézelay zwischen die Hügel einer kleinen Anhöhe. So weit das Auge reichte, lagerte auf der rechten Uferseite das französische Heer unter Philipp II., wohingegen es sich die Streitmacht von Richard Löwenherz an dem steinigen Strand zur Linken des Flusses gemütlich gemacht hatte. Jungritter wie Knappen nutzten die Gelegenheit, sich in den Stromschnellen abzukühlen, während die älteren unter den Kreuzfahrern zu der berühmten Basilika im Zentrum der Stadt pilgerten, um einen Blick auf die Gebeine Maria Magdalenas zu werfen und den Segen für das risikoreiche Unterfangen zu erbitten. Wenn alles nach Plan verlief, würden die beiden Armeen bei Morgengrauen getrennt nach Süden aufbrechen, wo Richard von Marseille aus über Land nach Messina marschieren würde, wohingegen Philipps Flotte die Hauptstadt des Königreiches Sizilien direkt anlaufen würde.
Heiteres Gelächter lag in der Luft, und aus so mancher Unterkunft drangen die Laute ungezügelter Lust. Ihre Chance witternd, waren die Mädchen aus dem Umland zusammengelaufen, um innerhalb weniger Tage mehr zu verdienen, als ihre Väter und Brüder im Laufe eines gesamten Jahres mit harter Arbeit erzielten. Hinter Büschen und Steinen, in Zelten und Vorzelten, selbst unter dem spärlichen Schutz eines ausgebreiteten Mantels trieben die ausgehungerten Männer es mit den Frauen, die sich mit geschäftstüchtiger Sicherheit die wohlhabendsten unter den Kreuzfahrern aussuchten, bevor sie sich den weniger Betuchten zuwandten, um auch diesen die Silberpfennige aus der Tasche zu ziehen. Hie und da kam es zwischen eifersüchtigen Soldaten zu Handgreiflichkeiten, die sich jedoch von selbst schlichteten, sobald die Streithähne bemerkten, dass der Anlass ihres Zerwürfnisses sich schon längst mit der Bezahlung aus dem Staub gemacht hatte – nicht selten, ohne die erkaufte Dienstleistung erbracht zu haben. Wein und Met flossen in Strömen, und wenn man am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang zum Aufbruch blies, würden so manchem der Ritter die Ausschweifungen des Vortages bitter aufstoßen.
»Ich hoffe, du vergisst, die Sache mit der Seekrankheit zu erwähnen«, warnte der englische König den neben ihm auf dem bequemen Feldlager ruhenden Richard of Devizes, den er nach beinahe schmerzhaft langer Abstinenz dazu auserkoren hatte, die Rolle des geliebten Blondel einzunehmen. Der Eingang des prunkvollen Zeltes war von innen verschlossen, und nur ein kleines Loch nahe der Mittelstange sorgte für die Zufuhr von Frischluft. Mit einem verführerischen Lächeln drehte sich der junge Mann auf den Bauch und strich seinem Herrn über die von winzigen roten Löckchen bedeckte Brust. »Aber sicher doch, mein kühner Recke«, frotzelte er, erkannte seinen Fehler jedoch sofort, als sich der hünenhafte Löwenherz aufrichtete und ihm schmerzhaft die Hand an die Kehle legte. »Du darfst zwar mein Bett teilen, Bursche«, zischte er und hatte Mühe, den Blick von den perfekt geformten Hinterbacken des jungen Geschichtsschreibers abzuwenden. »Aber Frechheiten solltest du dir sparen!« Die tiefblauen Augen des achtzehnjährigen Zisterzienserbruders weiteten sich erschrocken, und seine Lippen öffneten sich zu einer Entschuldigung, die er allerdings ungeäußert schlucken musste, da ihm die starken Finger seines Liebhabers die Luft abschnürten. »Bitte«, keuchte er atemlos und erschlaffte im Griff des kampferprobten Königs, der ihn daraufhin zögernd losließ und sich mit einem grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht von dem Lager schwang. »Du solltest deine vorlaute Zunge hüten«, knurrte er schon wieder halb versöhnt und streifte sich ein besticktes Surkot über, ohne sich die Mühe zu machen, die über einen Schemel geworfene Cotte darunter zu ziehen. Es war ohnehin viel zu heiß.
Zwar hatte ihn das wilde, ungezügelte Liebesspiel mit dem phantasievollen jungen Mann körperlich befriedigt. Aber in seiner Brust brannte immer noch das verzehrende Feuer der verletzten Selbstachtung. Noch nie zuvor hatte sich ihm ein Bettgefährte verweigert. Und die klaren Worte, mit denen Blondel sich in England von ihm verabschiedet hatte, nagten trotz des Ersatzes auch nach den inzwischen verstrichenen Monaten noch an ihm. Während der blonde Chronist auf seiner Bettstatt zwar des Schreibens mächtig war, fehlte ihm die Klasse, mit welcher der englische Barde selbst die schlichteste Volkswaise in ein
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