Schwerter-Zylus 06 - Die Schwerter von Lankhmar
Käfig vielleicht einen doppelten Boden hatte. Im Zwischenraum konnte ein Dutzend längst getöteter Ratten oder ein verwesendes Stück Fleisch liegen.
»Hisvin tötet sie eben zweimal«, erwiderte Glipkerio mit schwacher Stimme und drückte eine lange Hand vor seinen Magen. »Alle Verfallsprozesse werden beschleunigt.«
Hisvin schwenkte hastig die Arme und deutete auf ein Fenster. Ein stämmiger gelber Mingol, der in einer Ecke gehockt hatte, sprang auf, nahm den Käfig und rannte damit nach draußen, um ihn ins Meer zu werfen. Der Mausling folgte ihm, stemmte den Mingol in der schmalen Fensteröffnung zur Seite, lehnte sich hinaus und sah, wie der Käfig aufklatschend im blauen Wasser verschwand.
Im gleichen Augenblick drückte sich Hisvet, die ihm mit schnellen Schritten nachgegangen war, von der Seite an ihn. Sie berührten sich von der Schulter bis zur Hüfte.
Der Mausling glaubte einige kleine Gestalten auszumachen, die unter Wasser den Käfig verließen und mit kräftigen Bewegungen zu den Felsen schwammen.
Hisvet hauchte in sein Ohr: »Heute nacht, wenn der Abendstern untergeht, auf dem Platz der Dunklen Freuden. Der Hain der Glockenbäume.« Dann wandte sie sich schnell ab und rief dem Sklavenmädchen zu: »Wein für Seine Majestät!«
Glipkerio nahm einen Kelch mit hellem Wein. Anschließend machte das zierliche Mädchen die Runde und bot auch den anderen zu trinken an.
Als sie sich umdrehte, bemerkte der Mausling auf ihrem nackten Rücken ein gleichmäßiges Muster aus rötlichen Streifen, das sich von ihren Schultern bis zu den Fersen hinzog. Im ersten Augenblick hielt er es für aufgemalt, dann sah er, daß es die Spuren einer Auspeitschung waren. So sorgte die dicke Samanda also für Ordnung! Die unterschwellige Folterverschwörung zwischen dem hageren und weibischen Glipkerio und der verfetteten Palastdame war psychologisch nicht uninteressant, so ekelhaft sie auch anmutete. Der Mausling fragte sich, was das Mädchen wohl falsch gemacht hatte. Er stellte sich auch vor, wie Samanda fauchend und wabbelnd in der breiten Kupferrutsche nach unten verschwand.
Glipkerio sagte zu Hisvin: »Dann brauchen wir also die Ratten nur auf die Straßen zu locken und Ihren Zauberspruch aufzusagen?«
»O ja, weise Majestät«, versicherte ihm Hisvin, »obwohl wir damit noch etwas warten müssen, bis nämlich die Sterne eine günstige Stellung am Ozean des Himmels erreicht haben. Erst dann wird mein Zauber auch auf die Entfernung wirken. Ich spreche meinen Zauber vom Blauen Minarett des Palastes und bringe alle Ratten auf einmal um.«
»Ich hoffe, die Sterne setzen bald ihre Segel und beeilen sich«, sagte Glipkerio. »Mein Volk wird unruhig. Die Leute erwarten, daß ich etwas gegen die Tiere unternehme.«
»Machen Sie sich um diesen Punkt keine Sorgen«, sagte Hisvin beruhigend. »Die Ratten lassen sich nicht so leicht verscheuchen. Setzen Sie also alle Maßnahmen gegen sie fort. Unterdessen können Sie Ihrem Rat aber mitteilen, daß eine mächtige Waffe in der Reserve bereitsteht.«
Der Mausling schlug vor: »Warum können wir nicht tausend Pagen den tödlichen Spruch auswendig lernen lassen? Die Ratten stecken unter der Erde und merken gar nicht, daß die Sterne an der falschen Stelle stehen.«
Glipkerio wandte ein: »Ah, aber es ist nötig, daß die kleinen Biester Hisvins Handzeichen sehen! Sie verstehen von diesen Dingen nichts, Mausling. Sie haben Movarls Botschaft überbracht; Sie können gehen. Aber denken Sie daran«, fuhr er fort. »Ich habe Ihnen die Verspätung verziehen, kleiner Grauer, und Ihre Dracheneinbildung und Ihre Zweifel an Hisvins Zauberkräften. Aber noch einmal vergebe ich Ihnen nicht. Sprechen Sie mir nie wieder von diesen Dingen.«
Der Mausling verbeugte sich und verließ das Audienzzimmer. Als er an der kleinen Sklavin vorüberging, flüsterte er: »Du heißt?«
»Reetha«, hauchte sie.
Hisvet rauschte herbei um sich einen Bissen Kaviar zu holen. Reetha sank automatisch auf die Knie.
»Dunkle Freuden«, murmelte Hisvins Tochter und rollte die winzigen schwarzen Fischeier auf der Zunge.
Als der Mausling gegangen war, beugte sich Glipkerio zu Hisvin hinab. »Ein Wort im Vertrauen«, flüsterte er. »Die Ratten machen mich sogar manchmal ... äh, nervös.«
»Es sind schreckliche Ungeheuer«, stimmte ihm Hisvin ernsthaft zu, »die sich sogar vor den Göttern nicht fürchten.«
Fafhrd ritt südwärts auf der steinigen Uferstraße, die von Klelg Nar nach Sarheenmar führte.
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