Schwertgesang
jung, vielleicht erst zwanzig oder einundzwanzig, und er hatte ein breites Gesicht mit hellen Augen, die zugleich neugierig und freundlich blickten. Es hatte mich überrascht festzustellen, dass ich Sigefrid mochte, aber Erik zu mögen, konnte niemanden überraschen. Sein Lächeln kam unvermittelt, seine Miene war offen und arglos. Er war, wie Giselas Bruder, ein Mann, den man vom ersten Moment an gern hatte. »Ich bin Erik«, grüßte er mich. »Er ist mein Ratgeber«, sagte Sigefrid, »mein Gewissen und mein Bruder.« »Gewissen?« »Erik würde keinen Mann dafür töten, gelogen zu haben, oder, Bruder?« »Nein«, sagte Erik. »Also ist er ein Narr, aber ich liebe diesen Narren.« Sigefrid lachte. »Glaubt aber nicht, dass dieser Narr ein Weichling ist, Herr Uhtred. Er kämpft wie ein böser Dämon aus Niflheim.« Er schlug seinem Bruder auf die Schulter, dann nahm er meinen Ellbogen und schob mich in Richtung des unerklärlichen Kreuzes. »Ich habe Gefangene«, erklärte er mir, während wir näher herankamen, und da sah ich fünf Männer mit hinter dem Rücken gefesselten Händen auf dem Boden knien. Umhänge, Waffen und Kittel waren ihnen weggenommen worden, sodass sie nur noch ihre Hosen trugen. Sie zitterten in der Kälte. Das Kreuz war neu und bestand aus zwei Holzbalken, die grob zusammengenagelt worden waren. Dann hatten sie es in einem schnell ausgehobenen Loch aufgerichtet, es neigte sich leicht zur Seite. An seinem Fuß lagen einige schwere Nägel und ein großer Hammer. »Man sieht immer den Tod am Kreuz auf ihren Standbildern und Schnitzereien«, erklärte mir Sigefrid. »Und auch auf den Amuletten, die sie tragen, aber in Wirklichkeit sieht man diese Sache nie. Habt Ihr es schon einmal gesehen?« »Nein«, gab ich zu. »Und ich verstehe nicht, wie ein Mann daran sterben kann«, sagte er mit echtem Erstaunen in der Stimme. »Es sind doch nur drei Nägel! Ich habe im Kampf viel Schlimmeres ertragen.« »Ich auch«, sagte ich.
»Also habe ich mir gesagt, ich sollte herausfinden, was es damit auf sich hat!«, endete er fröhlich und nickte dann mit seinem bärtigen Kinn in Richtung der Gefangenen, die am nächsten bei dem Kreuz knieten. »Die beiden Bastarde dort drüben sind Christenpriester. Wir nageln einen von ihnen oben fest und passen auf, ob er stirbt. Ich habe zehn Silberstücke darauf gesetzt, dass er nicht daran stirbt.«
Ich konnte von den beiden Priestern kaum mehr erkennen, als dass der eine von ihnen einen dicken Bauch hatte. Sein Kopf war gesenkt, aber nicht zum Gebet, sondern weil er schwer geprügelt worden war. Sein bloßer Rücken und seine Brust waren voller Prellungen und blutiger Stellen, und noch mehr Blut klebte in seinem lockigen braunen Haarschopf. »Wer sind sie?«, fragte ich Sigefrid. »Wer seid ihr?«, knurrte er die Gefangenen an, und als keine Antwort kam, trat er den Nächstbesten von ihnen grob in die Rippen. »Wer seid ihr?«, wiederholte er.
Der Mann hob den Kopf. Er war schon älter, mindestens vierzig Jahre alt, und hatte ein tief zerfurchtes Gesicht, in dem sich die Hoffnungslosigkeit derjenigen spiegelte, die wissen, dass sie dem Tod geweiht sind. »Ich bin Graf Sihtric«, sagte er, »Berater von König Æthelstan.«
»Guthrum!«, schrie Sigefrid, und was war das für ein Schrei. Ein Schrei reinen Hasses, der aus dem Nichts hervorbrach. In dem einen Augenblick war er freundlich und umgänglich gewesen und im nächsten verwandelte er sich in einen Dämonen. Speichelgeifernd kreischte er den Namen ein zweites Mal. »Guthrum! Sein Name ist Guthrum, du Bastard!« Er trat Sihtric gegen die Brust, und ich glaubte, dass der Tritt hart genug war, um Sihtric eine Rippe zu brechen. »Wie heißt er?«, verlangte Sigefrid zu wissen. »Guthrum«, sagte Sihtric. »Guthrum!«, brüllte Sigefrid und trat den alten Mann erneut. Guthrum war, als er mit Alfred Frieden schloss, zum Christentum übergetreten und hatte den christlichen Namen Æthelstan angenommen. Ich dachte immer noch als Guthrum an ihn, genau wie Sigefrid, der sich nun offenbar vorgenommen hatte, Sihtric zu Tode zu treten. Der alte Mann bemühte sich, den Stiefeltritten auszuweichen, doch inzwischen lag er vor Sigefrid auf dem Boden und hatte keine Möglichkeit zu entkommen. Erik schien unberührt von dem wilden Zorn seines Bruders, doch nach einer Weile trat er vor, fasste nach Sigefrids Arm, und der größere Mann ließ sich von ihm wegziehen. »Bastard!«, fauchte Sigefrid den stöhnenden Mann über die
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