Schwester der Finsternis - 11
dass Ihr Eure Pflicht verseht.«
»Wer seid Ihr?«, fragte der Protektor an Nicci gewandt.
»Ich bin Richard Cyphers Frau, Protektor Muksin. Ich war schon einmal hier und habe eine Gebühr entrichtet, um ihn besuchen zu können. Ihr habt mir die Strafe erläutert.«
Er nickte. »Ich empfange so viele.«
»Seht doch«, sagte Mr. Cascella. »Wir haben eine Menge Geld für die Strafe. Das heißt, nur wenn wir sie heute bezahlen und Richard Cypher auslösen können. Ein Teil des Geldes gehört Leuten, die zu der Spende morgen vielleicht schon nicht mehr bereit sind.«
Der Schmied schob ihm vier weitere Goldmünzen über den Tisch. Die dunklen Augen des Protektors schienen nicht beeindruckt.
»Das Geld gehört dem Volk. Es gibt viel Bedürftigkeit.«
Nicci nahm an, dass sich diese Bedürftigkeit im Wesentlichen auf seine eigene Tasche bezog und dass er sich nur deshalb zierte, weil er ein noch besseres Angebot rausschinden wollte. Als wollte er den unausgesprochenen Vorwurf entkräften, schob Volksprotektor Muksin die acht Goldmünzen – ein Vermögen nach jedem normalen Maßstab – zurück über den Tisch.
»Der Betrag wird nicht hier entrichtet; wir haben dafür keine Verwendung. Wir sind bescheidene Diener des Ordens. Für gewöhnlich wird die Höhe der Strafe im Hauptbuch vermerkt, doch dafür müsstet Ihr es einem Bürgerkomitee für die Verteilung an die Bedürftigen aushändigen.«
Nicci war überrascht, dass sie sich in dem Mann getäuscht hatte.
Er war tatsächlich ein ehrlicher Beamter. Das verlieh dem Handel einen völlig anderen Charakter. Sie schöpfte neue Hoffnung. Vielleicht würde es doch gar nicht so schwierig werden, Richard freizubekommen.
Hinter ihr, auf der anderen Seite der niedrigen Trennwand, drängten sich wehklagende Frauen, weinende Kinder und betende Bürger. Nicci bekam in dem von Gestank erfüllten, stickig heißen Saal kaum Luft. Sie hoffte, der Beamte ließe sich dazu bewegen, den Fall schnell abzuwickeln, damit er sich der kleinen Gruppe aus Gardisten annehmen konnte, die in den Nebenräumen auf Papiere und Anweisungen warteten.
»Ihr macht jedoch einen Fehler«, fügte der Protektor hinzu, »wenn Ihr glaubt, Ihr könntet die Freilassung dieses Mannes mit Geld erkaufen. Das Leben eines Einzelnen interessiert den Orden nicht, denn kein einziges Menschenleben ist wirklich von Bedeutung. Ich bin geneigt, Euch zu raten: Behaltet das Geld – bis wir Gelegenheit hatten, zu prüfen, wie es möglich ist, dass jemand über einen derart hohen Geldbetrag verfügt. Meiner Ansicht nach muss dieser Mann eine zerstörerische Wirkung auf die bürgerliche Ordnung haben, wenn er so viel Unterstützung weckt. Kein einzelner Mann ist besser als die anderen. Dass er so viel Geld beschaffen kann, um sich durch Bestechung von seiner gerechten Strafe freizukaufen, bestätigt meinen Verdacht, dass er etwas zu gestehen hat.«
Sein Stuhl knarrte, als er sich zurücklehnte, um sie genau in Augenschein zu nehmen. »Wie es scheint, seid Ihr drei nicht dieser Meinung – und haltet ihn für besser als andere.«
»Ach was«, meinte der Schmied ganz beiläufig, »er ist bloß unser Freund.«
»Der Orden ist Euer Freund. Eure Sorge sind die Bedürftigen. Es steht Euch nicht an, einen Menschen anderen vorzuziehen. Ein derart unziemliches Verhalten kommt einer Gotteslästerung gleich.«
Die drei vor dem Schreibtisch verstummten. Das Wehklagen in ihrem Rücken, das Jammern und das von Panik erfüllte Beten um diejenigen, die tief unten in der Dunkelheit einsaßen, hielt unvermindert an. Was immer sie vorbrachten, es schien den Mann nur noch mehr gegen sie aufzubringen.
»Wenn er etwas gelernt hätte, lägen die Dinge vielleicht anders. Es besteht ein großer Bedarf an gelernten Arbeitskräften, die den Orden unterstützen. Viele zögern, statt alles daranzusetzen, ihren Beitrag zu leisten. Wer etwas kann, hat auch die Pflicht –«
Dann wurde es Nicci in einem einzigen gleißenden Augenblick schlagartig klar.
Sie trat näher an den Tisch heran. »Er ist der größte…«
»Größe ist eine Selbsttäuschung der Sündhaften. Alle Menschen sind gleich, sie sind von Natur aus böse und müssen daher alles daransetzen, ihre minderwertige Natur zu überwinden, indem sie ihr Leben selbstlos in den Dienst der guten Sache stellen und ihren Mitmenschen helfen. Allein völlige Selbstlosigkeit befähigt den Menschen, sich den Lohn im Leben nach dem Tode zu verdienen.«
Mr. Cascella ballte die Fäuste und war
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