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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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muss mich fragen: Von was für einem Tag?
     
    Nicht ganz so schlimm hingegen sind Spätdienste. Sie beginnen um ein Uhr mittags und werden somit auch meinem Biorhythmus gerechter. Es gibt eine solche Vielzahl an Kollegen, die lieber früh als spät arbeiten, sodass ich ohne Probleme fast ausschließlich Spät- und Nachtdienste mache. Ich bekomme zwar keine Schichtzulage, wenn ich auf Frühdienste verzichte, investiere diesen Preis gerne für mein Seelenheil. Bei einer glücklich unverheirateten Frau wie mir mit einer Teilzeitstelle ist die Schichtzulage ohnehin auf einem Niveau angesiedelt, mit dem man zu zweit Pizza essen und danach noch ins Kino gehen kann. Vielleicht ist es töricht, auf dieses Zubrot zu verzichten, andererseits kann man als Fachkrankenschwester und nach vielen Dienstjahren im Drei-Schichten-Betrieb ohnedies mehr erwarten als zwei Pizzen und Kino. Mir ist das In-Schach-Halten meiner signifikanten Schlafstörungen mittlerweile wichtiger geworden, und trotz des zeitweiligen Verzichts auf die Schichtzulage kann ich auch immer noch Pizza essen gehen. Die Entscheidung für mehr Hedonismus und weniger Besitztum scheint mir der richtige Weg zu sein.
    Selbstverständlich ist auch ein Spätdienst kein Urlaub auf dem Ponyhof, besonders wenn es sich um den fünften in Folge handelt. Auch hier droht das Sozialleben auf der Strecke zu bleiben, denn den wenigsten meiner Freunde ist es möglich, sich noch abends um halb zehn in der Kneipe zu treffen, außer es ist Freitagabend. Habe ich jedoch die fünf Dienste hinter mich gebracht, winken einige freie Tage zur Belohnung.
    Trotzdem stellt sich bei einer Reihe solcher Dienste das Tretmühlengefühl recht zügig ein, besonders wenn schon der erste Tag hektisch und chaotisch abläuft. Die Einschätzung, dass daraus eine Serie wird, ist durchaus realistisch. Trotzdem sehe ich eine Reihe von Spätdiensten eher sportlich als nur einen Frühdienst und bin sehr zufrieden, wenn ich es geschafft habe. Euphorisch pfeffere ich dann meine Schuhe in das Fach unter dem Spind und verlasse pfeifend das Klinikgelände …
     
    Herr Rot wurde vor drei Tagen auf einem Sportplatz reanimiert. Seine Sportkollegen haben sich nach anfänglichem Zögern viel Mühe gegeben, womöglich war jedoch das anfängliche Zögern das Quäntchen Zeitverzug zu viel. Obwohl die Narkosemedikamente bereits vor zwei Tagen abgesetzt wurden, wacht Herr Rot nicht so auf, wie wir es uns für ihn wünschen. Eine Art «Wachheit» zeigt sich uns lediglich durch eigentümliche Zuckungen in seinem Gesicht, was symptomatisch für eine Hirnschädigung sein könnte. Nach einer Untersuchung in der Computertomografie bestätigt sich, dass das Gehirn von Herrn Rot geschwollen ist, sodass die Narkose wieder vertieft wird und der Kopf des Patienten auf gar keinen Fall flach gelagert werden darf, um die Schwellung nicht noch zu verstärken.
    Leider macht sich eine Komplikation nach der nächsten wichtig, und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Zuallererst geben Herrn Rots Nieren ihre Tätigkeit auf, dann die Leber, und kurz vor Feierabend steht die Eule auf dem Stationsflur und zieht einen weiteren dicken Hasen aus dem Hut: «Ihr müsst euch alle frische Klamotten anziehen und Herrn Rot isolieren. Der hat leider einen MRSA !»
    Ein MRSA ist ein resistenter Keim, der ungünstigstenfalls auf gar kein Antibiotikum reagiert. Es ist eine wahre Katastrophe, die ganze Stationen und Pflegeheime heimsucht, und wie groß die «Durchseuchung» der Bevölkerung wirklich ist, bleibt fraglich. Um eine urbane Verteilung auf der gesamten Station zu vermeiden, dürfen nun alle nur noch mit Schutzkittel, Haube, Mundschutz und Handschuhen in das Zimmer. Und das heißt auch, dass ich nicht einfach aus dem Zimmer laufen kann, wenn ich etwas vergessen habe. Ich muss rufen, und wenn alle anderen in ihren Zimmern verschwunden sind, hören sie mich schlecht bis gar nicht. So stehe ich also in meiner albernen Verkleidung schwitzend im Türrahmen und muss irgendwann brüllen – oder alles wieder aus- und später wieder alles frisch anziehen. All das erinnert mich an ein beliebtes Spiel auf Kindergeburtstagen: das Schokoladenwettessen, bei dem man reihum würfelt. Und wer eine Sechs hat, zieht ganz schnell Handschuhe und eine Pudelmütze über und versucht mit Messer und Gabel eine in mehrere Schichten Papier und Paketschnüre eingewickelte Schokoladentafel auszupacken. Die anderen würfeln derweil weiter und haben natürlich auch mal eine

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