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Schwesterlein muss sterben

Schwesterlein muss sterben

Titel: Schwesterlein muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Wolff
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fallen lassen und bin in die Scherben gelatscht. War aber schon beim Arzt, ist alles unter Kontrolle. Und ich wollte gerade selber zum Einkaufen, tut mir vielleicht ganz gut, ein bisschen frische Luft zu kriegen. Aber trotzdem danke für das Angebot, wenn es wieder schlimmer werden sollte, komme ich darauf zurück.«
    Er hatte alle Mühe gehabt, den Typen abzuwimmeln, ohne dabei allzu unfreundlich zu wirken. Allerdings war er sich fast sicher, dass der Angelfreund ihm nicht glaubte. Kein Wunder, er musste aussehen, als würde er sich kaum aufrecht halten können! Und natürlich hatte der verdammte Spießer lange genug in der Tür gestanden, um das Chaos in der Hütte zu registrieren. Die achtlos auf den Boden geworfenen Klamotten, die leeren Konservendosen, das vollgeblutete Verbandsmaterial. Wahrscheinlich roch es auch entsprechend, er wusste nicht mehr, wie lange er schon nicht mehr gelüftet hatte.
    Aber wenigstens hatte der Typ ihn gezwungen, sich aus seiner Lethargie hochzurappeln. Er musste unter allen Umständen den Eindruck erwecken, dass alles im grünen Bereich war. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war ein selbsternannter Campingplatz-Wächter, der irgendeinen Verdacht schöpfte.
    Mit zusammengebissenen Zähnen quälte er sich in seine Sachen und warf eine Handvoll Pillen ein. Das taube Gefühl, das sich wenig später in seinem Körper ausbreitete, war noch nicht mal unangenehm. Nach einer Weile schaffte er es sogar, den verletzten Fuß aufzusetzen, ohne vor Schmerzen zusammenzuzucken.
    Er startete das Moped und drehte mit voller Absicht noch eine Runde über den Campingplatz, runter zum Kiesstrand, wo prompt die Anglerfreunde versammelt waren und wahrscheinlich gerade noch über ihn geredet hatten.
    Er stoppte direkt neben ihnen und erklärte über das Knattern des Motors hinweg: »Ich wollte nur noch mal schnell danke sagen, dass ihr eure Hilfe angeboten habt, aber es ist alles bestens. Ich mach mal eben einen kleinen Ausflug in die Stadt, muss noch mal in die Bibliothek, ein paar Bücherbesorgen. Hab nächste Woche einen Abgabetermin in der Uni, wird Zeit, dass ich meine Arbeit fertig kriege. Also, haut rein, Leute, vielleicht komme ich später noch mal vorbei, um zu sehen, wer von euch den dicksten Burschen am Haken hat.«
    Die Idee mit der Uni war ihm spontan eingefallen, aber er fand die Erklärung überzeugend – ein Student, der sich eine Hütte gemietet hatte, um in Ruhe seine Examensarbeit zu schreiben. Die Anglerfreunde sahen das offensichtlich ähnlich, und vor allem schien er den richtigen Tonfall getroffen zu haben, jedenfalls grinsten sie zustimmend und luden ihn sogar für den Abend noch auf ein Bier ein: »Falls dir die Luft zu trocken wird und du mal eine Pause brauchst.«
    Er hielt den Daumen hoch und ließ sie in einer Qualmwolke zurück. Ganz sicher würde er kein Bier mit ihnen trinken und sich ihre Anglergeschichten anhören. Und falls er überhaupt noch mal wiederkommen würde, wäre er derjenige, der etwas zu erzählen hätte. Etwas, woran sie noch lange denken würden und was ihnen unter Garantie den Appetit auf frisch gefangenen Fisch für immer verderben würde.
    Auf der Landstraße hatte er Schwierigkeiten, nicht von der Fahrbahn abzukommen, sein Kopf war wie in Watte gehüllt, das Blut rauschte in seinen Ohren, aber trotz allem fühlte er sich nicht schlecht dabei. Zum ersten Mal seit Tagen hatte er wieder genug Energie, um endlich zu tun, was er schon viel zu lange aufgeschoben hatte.
    Der Himmel war wolkenverhangen. Als er auf die Straße nach Telavåg abbog, konnte er deutlich den Regenschleier weit draußen über dem Meer erkennen. Mehrmals hintereinander sah er im Augenwinkel helle Lichtblitze aufzucken. Als er kurz den Kopf zur Seite drehte, wurde ihm schwindlig. Imletzten Moment konnte er den Lenker herumreißen und das Moped wieder von der Grasnarbe zurück auf den brüchigen Teerbelag der Straße zwingen. Er war sich nicht sicher, ob er sich die Lichtblitze nur eingebildet hatte oder ob es tatsächlich ein Gewitter geben würde.
    Als er kurz vor der Kirche den Pastor am Straßenrand stehen sah, machte er automatisch einen Schlenker, der ihn fast wieder zum Stürzen gebracht hätte. Er erinnerte sich daran, den Pastor auf der Trauerfeier am Meer gesehen zu haben, und verspürte unwillkürlich den gleichen Reflex wie beim letzten Mal, sich zu ducken und in Deckung zu gehen.
    An der Zufahrt zu dem verwilderten Grundstück hielt er an und stieg ab. Er musste

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