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Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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Aufregung. Der Augenmuskel erlahmte, dafür lugte ich aus halbgeschlossenen Lidern mit zur Sichel gewordenem Blick. Ich verachtete sie dafür, einen Körper zu besitzen, obwohl sie ihn brauchte, um vor mir zu sitzen. Ich lächelte zu meinen Gedanken mit Tadel für meine Schwester. Marie errötete und seufzte, raffte das Verbandszeug zusammen und erhob sich. Sie flüsterte unter meiner Autorität und gab mir als Entschuldigung und Wiedergutmachungsgeste für ihre schmutzigen Lügengeschichten einen Gutenachtkuss, keine Umarmung. Als ich am nächsten Morgen Marie wecken wollte, hatte sie die Zimmertüre abgeschlossen und die Vorhänge ihrer Balkontür zugezogen. Sie schämte und versteckte sich. Das war gut so.
    Ich wurde für die Dienste als Frühstücks- und Zimmermädchen bezahlt. Nichts war mir lieber, als so Zutritt in Pauls Privatsphäre zu erhalten. Marie musste sich enthalten und für ihre Französisch-Prüfung vorbereiten. Sie sollte zu dem werden, was mir nicht vergönnt war. Sie sollte es bis zur Matura bringen. Dieses Argument half, mir das Privileg zu verschaffen, für Paul zuständig zu sein.
    Nun, da Paul im Haus war, war es mir völlig egal, ob Marie ihren Pflichten nachging, Hauptsache, sie störte mich nicht und kam mir nicht in die Quere. Ich witterte die Chance auf ein eigenes Leben. Die Finger der rechten Hand lüpften wie von selbst den Schlüssel vom Brett, und die Füße folgten in den zweiten Stock unters Dach, wo Paul hauste. Er verbrachte die Zeit, die mein Vater zu arbeiten hatte, am See.
    Paul war Nervenarzt, und sein Fleisch und Blut schienen sich in seiner Haut besonders wohlzufühlen. Ich bewunderte ihn, nicht wie eine begehrende Frau, sondern wie eine Bildhauerin, die den Adonis geschaffen hat. Meine Hände waren kreativ. Seine Hände besaßen heilende Kräfte.
    Ich sperrte sein Zimmer auf. Hier hatte einst Mutter die Wäsche aufgehängt und die Nähmaschine aufgestellt. Die Aussicht ging auf den See hinaus. Paul lag dort auf dem Steg. Er hatte immer duftende Haut, die er sofort nach dem Baden mit einer Milch eincremte. Ich sorgte für glatte Bettwäsche. Glatte Handtücher. Auf der Etagere lagen billige Rasierer aus Plastik, noch eingeschweißt in die Verpackung. Ich prüfte Pauls Rasierer. Er war noch nass vom letzten Gebrauch und ich entdeckte die abgekratzten Haare seines Bartes. Setzte die Klinge am Unterarm an. Drückte die Schneide in die Haut, bis sie die Epidermis spannte und anritzte. Bevor ich das Blut erreichte, zog ich das Instrument zurück und rasierte mir die Arme. Steckte den Rasierer in die Schürzentasche und enthüllte ein neues Exemplar aus dem Zellophan.
    Sein Bett zu machen war das reinste Vergnügen. Er schien über einen eigenwilligen Schlafstil zu verfügen. Entweder er legte sich nicht hin, oder er schwebte über dem Bett. Die Bettwäsche war so gut wie nicht zerknittert. Ich behauchte das Wasserglas dieses Mannes, der schwere Bücher las. Ich flüsterte ein „ich lieb dich“ auf die mit Lesezeichen markierten Seiten und in den Beschlag. Das Glas reflektierte meinen Seufzer, versetzte mich in Sehnsucht. Sehnsucht. Sehnsucht. Ich polierte das Glas und hatte Lust, Zeichen nicht zu hauchen, sondern zu schreiben, haltbar zu machen. Welch verfängliches Unternehmen, Halt in der Verlorenheit zu suchen. Ich bin dabei, ein Buch zu schreiben. Liebesbriefe wären zu leicht zu verbrennen.
    Gegen meine Schlaflosigkeit wirkte in jenem Sommer kein Medikament. Paul ergab Träume, die mir jede Müdigkeit nahmen und betäubend wirkten. Ich behaupte, wer nicht zu betäuben ist, der hat auch keine Chance auf Glück.
    Zuversicht und Euphorie sind nachträglich gesehen immer als Wehen der Enttäuschung zu verstehen. So ist das Leben und umgekehrt. Vater machte mir ein Angebot: Er wollte mir eine Reise nach Frankreich spendieren, damit ich einmal etwas anderes unternehme, als nur auf Marie zu schauen. Ich hatte nicht vor, Paul zu verlassen. Also lehnte ich kategorisch ab und beschwor Vater, stattdessen Marie nach Frankreich zu schicken, die es ohnehin viel nötiger habe, ihr Französisch zu verbessern. Morgen, versprach ich, morgen würde ich dafür wieder für meine Nachprüfungen lernen. Mein Entschluss war gefasst, Nervenärztin zu werden. Dazu brauchte ich Latein und kein Französisch. Ich würde auf dem Bett des Arztes sitzen und mich im Deklinieren und Konjugieren üben, mich an einer Übersetzung der Metamorphosen Ovids versuchen, beschloss ich, während Vater mich bat,

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