Schwestern der Angst - Roman
ich selbst die Täterin und hatte Paul überfallen und es ekelte mir vor mir.
Vater freundete sich mit Paul rasch an. Dass er ihn für den Rest des Sommers in unserem Haus beherbergen wollte, machte mich glücklich, ihm nahe sein zu können, doch gleichzeitig ertrug ich die Spannung nicht. Ich hoffte, dass Paul genug Anstand im Leibe haben würde, meinen Besuch auf der Herrentoilette zu verschweigen. Die Griechin zog in Vaters Schlafzimmer und galt damit als Frau des Hauses, Paul übernahm ihr Zimmer. Als Paul einzog, flüchtete ich zur Entspannung in die Eisküche.
Die Wände zitterten, als die Tür aufflog. Marie suchte mich und fand mich im Keller. Ich lag in der Blutlache. Marie stürzte die Treppe hinauf und kam mit Verbandszeug wieder. Sie war unerschrocken, aber sprachlos. Nun hoffte ich, Marie würde meine Wunden nicht an die große Glocke hängen. Sie schlug die Ärmel über die Wunden. Sie glaubte an die Version eines Unfalls, dass ich gestürzt wäre und mich verletzt hätte. Sie tröstete mich und streichelte mir über die Wangen. Dann fragte sie mich, ob ich schon einmal dieses Kribbeln in der Bauchgegend gehabt hätte. Sie begann in diesen Gefühlen zu schwelgen. Es sei wohl Verliebtheit, sagte sie. Ich widmete mich zum ersten Mal bewusst widerwillig Marie. Ich zog die Knie an, versuchte mich durch diese Haltung vor ihrer und allen Stimmen zu schützen, die in meinem Kopf peitschend brüllten. Ohne zu wissen, wer ihr Liebesobjekt war, ahnte ich, dass es sich um Paul handelte.
Seit der Geschlechtsreife meines Körpers tobten Stimmen in meinen Ohren. Sie klangen räumlich und wie von außen, doch schrecklich nah. Sie flüsterten zuweilen völlig distanzlos: Bring dich um. Miststück. Wasch dich, schrubb dich, kratz dich, ritz den Dreck aus dem Leib.
Marie war ganz fixiert auf Paul. Vermutlich aus Neid. Paul war mir zugetan und hatte mir neugierige Seitenblicke zugeworfen, weil ich ihm Gehör und Aufmerksamkeit spendete. Ich hielt mich nicht zum Spaß für etwas Besonderes, nur weil ich als Erstgeborene meiner Mutter eine Eigenleistung war. Ich hätte gern selbst ein Kind bekommen, natürlich nur mit dem richtigen Mann, natürlich nur mit Paul. Schäm dich, übertönten die Stimmen die Vorstellung meines Paradieses mit einem Tusch. Du bist Schmutz, Paul ist rein. Ich schloss die Augen, da ich die Geister nicht sehen wollte, die um mich herumtanzten und den Takt mit ihren Bocksfüßen schlugen. Komm her, rutsch über meinen Schenkel, dass ich dein Rockerl lüpf, dass ich dich lock, dass ich dich hüpf.
Marie war zu jung für die Vielschichtigkeit von Liebe. Sie berührte meine Schulter und begann mir wieder vom Flattern im Bauch zu erzählen, das sie ganz nervös machte. Sie mochte das nicht, fürchtete sich vor diesem Gefühl, lebte in großer Angst, vor allem vor Pauls Nähe. Ich quittierte ihre Worte mit einem langen Blick, als könnte ich mit den Augen gähnen. Gleichzeitig durchbohrte ich sie mit meinem Verdacht. Ich gab mich distanziert und lernte mit dem Ausdruck des Gesichtes und dem Körper zu lügen. Ich tat entspannt, löste die Beine aus der Umklammerung meiner Arme, lehnte mich zurück und trommelte den Takt der mich beschimpfenden Stimmen geduldig mit den Fingerspitzen mit. Ich trug den Kopf hoch und Marie druckste herum, bevor sie erzählte, dass sie den ersten Kuss von ihm erhalten habe. Hörte ich recht? Übertrieb sie? Sie schilderte den Kuss als eine Vereinigung von Schlangen. Pauls Zunge habe sich lang und dünn angefühlt, dann habe sie ihre Zähne umschlängelt und den Gaumen gekitzelt, das Zahnfleisch abgeleckt.
Ich setzte mich auf und räusperte mich. Marie bemerkte meine Empörung. Ich glaubte ihr nicht. Wie eine Moräne, die stundenlang in einer Position verharren kann, bevor sie in einer blitzschnellen Bewegung zum Biss ausholt, fixierte ich sie. Die Gesichtsmuskulatur entspannte sich erst, als Marie mich fragte, ob sich Küsse so anfühlten. Wie eine weiche, leise Melodie. Wer einmal das Gedüdel einer die Ohrmuschel auskreisenden Zunge gespürt hat, weiß, dass diese stimulierende Zutraulichkeit auf die Nerven gehen kann, geräuschvoll und feuchtkalt, höchstens Gänsehaut erregend. Marie wagte es, in ihrer Phantasie über den Hals hinunter, wahrscheinlich bis in die Leistengegend zu kreisen. Der Eindruck, dass sie sich dabei konzentrieren musste, um weitere erotische Bilder auszumalen, verstärkte meinen Speichelfluss und die zuckende Muskulatur beim Schlucken aus
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