Schwestern der Angst - Roman
Erwärmung. Er wusste, wie ihm geschah, und bückte sich, legte eine Decke auf, hob meine Schuhe auf und stellte sie ins Gras. Dann schlief er mit mir. Der Unterleib zwang mich zum Aufschrei.
Später sagte man mir oft, ich müsse einsehen, dass Robert derjenige war, der mich in die Erwachsenenwelt eingeführt hat, nicht Paul, denn was Paul während meiner Ohnmacht getan hätte, könnte ich gar nicht wissen. Das mag zwar der Folgerichtigkeit entsprechen, aber nicht meiner Überzeugung und meinem emotionalen Wissen.
Nach Vollzug des Aktes ging ich über die Wiese nach Hause. Die Tür war verschlossen, deshalb stieg ich durchs Fenster in Maries Zimmer ein. Sie lag im Bett, wach und aufgeregt angesichts ihrer bevorstehenden Reise. Ich schlüpfte unter ihre Decke, und wie seinerzeit lagen wir nebeneinander. Später half ich ihr, den Koffer fertig zu packen, steckte ihr ohne Erklärung Präservative zu, und zum Frühstück schleppte ich den Koffer hinunter.
Paul war schon bei Tisch und wartete nur mehr auf Marie. Nichts war ihm anzumerken. Vater und die Griechin saßen wie versteinert herum, als ich den Koffer ins Foyer schleppte. Mein fröhliches „Guten Morgen“ brach das Eis nicht. Aber der Klang meiner Stimme und meine Bereitschaft, Lasten zu übernehmen, zeigten allen, dass ich wieder bei Trost war. Vater hatte mich nachts ausgesperrt, unabsichtlich vielleicht, doch nun platzierte er mich während des Frühstücks an seiner linken Seite, um Paul zu schützen.
Die beiden Männer unterhielten sich, die Köpfe einander zuwendend. Zwischen Marie und Paul saß die Griechin. Sie blickte immer wieder tadelnd zu mir. Später, als sich der Wagen in Bewegung setzte, war ich gefasst darauf, von Paul ignoriert zu werden. Marie saß angegurtet neben ihm, mit einem Französischwörterbuch auf den Knien. Paul hatte das Fenster hinabgleiten lassen und warf mir mit leichter Hand doch noch einen Wink zu. Seine wieder freundlichen Augen richteten sich wohlwollend auf mich. Ich war ihm dankbar, für diese Geste, die bewies, dass er mich doch mochte.
Einen Monat nach ihrer Abreise spürte ich keine Traurigkeit mehr, jede Lust stumpfte ab und meine lateinischen Nachprüfungen interessierten mich nicht mehr. Ich hatte immer wieder Blutungen und ich führte diese auf die Sorge um Marie zurück, meine Eifersucht auf sie und zurück auf den Gefühlstumult gegenüber meinem Stiefvater, der immer misstrauischer wurde und sich mir immer weiter entfremdete.
Der Himmel am Tag der Rückkehr glänzte silbrig und Wolken zogen ölige Schlieren. Der Regen klatschte fette Flecken auf die Windschutzscheibe. Maries Beine waren dünn und lang, sie stakste einher, als wäre sie ein Storch. Die schön geformten Beine und der kurze Rock, ihr neuer Duft nach frischen Gräsern und Lavendel standen in einem verzweifelten Kontrast zu dem schwerwiegenden Faktum, dass sie schwanger war. Diese Delikatesse vertraute sie nur mir an. Für Vater hätte es nichts Schändlicheres gegeben, als dass sich eine seiner Töchter ungewollt schwängern ließe.
Nun begann die Zeit unserer letzten Zweisamkeit. Marie umarmte mich, ihre sonst reine Haut war pudrig bestäubt. Ihre Moral war gesunken, aber nicht ihre Attraktivität. Neidlos bewunderte ich meine Schwester für ihre Sprachkenntnisse, die sie in so kurzer Zeit, knappe drei Monate, erworben hatte.
Sie drückte meine Hand und ließ sie nicht los, solange wir nach Hause fuhren, wo sie mir alles beichtete, bis auf den Namen des Kindsvaters. In der Küche offenbarte sie sich mir. „Ehrlich gesagt, ich habe kein schlechtes Gewissen. Das kann jeder passieren.“ Von wem sie schwanger war, war für mich keine Frage. Doch sie schwieg beharrlich und als Pauls Name fiel, grinste sie nur kryptisch. Sie hoffte auf meine organisatorische Unterstützung, meine Nichte abzutreiben. Sie hatte sogar einen Teil ihres Taschengeldes für mich gespart, damit ich sie mit dem Taxi zur Klinik begleiten könnte. Das war nicht großzügig, es war eigennützig.
Marie trug einen weißen Kittel und Plastikschuhe der Klinik, wo sie sich dem Schwangerschaftsabbruch unterzog, während ich draußen im Wartezimmer die Zeit verbringen wollte. Die Prozedur dauerte nicht länger als zwei Stunden. Anstatt im Vorzimmer zu warten, folgte ich meinem mulmigen Gefühl. Es trieb mich die Treppe hoch zur Rezeption, wo ich mich kurzerhand selbst zum Schwangerschaftstest anmeldete. Ich gab eine Harnprobe ab, das Ergebnis war negativ. Mein Gott, war ich einsam
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