Schwestern der Angst - Roman
Seine Lederjacke und die schwarze Hose hatten seinen blutenden Körper eingewickelt und dicht gehalten. Ein Winseln erschreckte mich. Ich ertrage kein Winseln. Nicht einmal das Winseln eines Hundes.
Ich hielt mich im dritten Stock am Geländer fest. Ich presste die Tasche an mich. Dann spürte ich den Druck des Phantomschmerzes auf meinen Oberarmen, als befingerte mich Robert noch immer, was mich vom Geländer wegführte. Auf eine geöffnete Wohnungstüre zu, wo der warme Duft von Lebkuchen herausdrang und mich empfing. Ich klopfte an.
„Um Gottes Willen“, sagte die Stimme der Nachbarin. „Kommen Sie herein, wir rufen die Rettung an!“
Ich riss mich los. Mir war bewusst, dass Robert als Unfallopfer durchgehen würde, ich war zumindest in seiner Hinsicht frei. Ich war bereit, mir helfen zu lassen. Die Rettung kam und der Notarzt maß den Puls und wünschte mir alles Gute.
Ich konnte nicht zu Hause bleiben, streunte durch die Gassen. Ich wusste nicht, wie mir geschehen war, ich fand mich ohne Zeit, daher ohne einen Deut Müdigkeit. Dabei war ich kilometerweit gelaufen. In den Auslagen blinkten die Reflexe der Scheinwerferlichter auf und mir stachen die Puppen ins Auge. Kinderpuppen mit Mädchenröcken, Strumpfhosen, mit übereinandergeschlagenen und gespreizten Beinen, die hinter dem Glas hockten und Kunden anlockten. Die nächste Auslage präsentierte ausgestopfte Kleider. Eine andere einen gekrösefreien und lupenreinen Torso aus Glas, bekleidet mit Spitzenunterwäsche. Daneben lag das amputierte Bein aus Bakelit mit einem hochhackigen Schuh. Daneben lagen Scherben wie funkelnder Schnee auf dem Schaufensterboden. Daneben Sektgläser und Weihnachtskugeln.
Doppelgänger verfolgten mich mit dem toten Blick der Schaufensterpuppen. Meine Schuhe klapperten. Ich sah die Uhr über der Gasse hängen. Die Zeiger zitterten, hüpften auf der Stelle und kamen nicht weiter. Der Geschäftsschluss dauerte ewig. Ich trug zu laute Schuhe, der Lärm wurde mir Schritt für Schritt zu viel. Ich hockte mich in den Eingang eines Möbelhauses. Noch bevor ich mich anlehnen konnte, spürte ich einen warmen Hauch an meinem rechten Ohr. Ich riss den Kopf herum und kam mit der schwarzen Spitze einer glänzenden Schnauze in Berührung. Ein Hund beschnupperte mich.
V
Mit Hunden kannte ich mich gut aus. Deshalb war ich auch für die Besetzung im Werbefilm zuständig. Wir brauchten einen Pudel für den Werbespot. Er würde gemeinsam mit dem englischen Darstellerkind das Futter bewerben. Das englische Darstellerkind wurde auch von mir ausgewählt. Und nun war mir ein Pudel zugelaufen. Ich streichelte das gekrauste Tier. Es trippelte zitternd auf seinen Pfoten, was ich als Aufforderung verstand. Ich nahm es hoch. Die Knopfnase schnüffelte an meinem Kinn und die Augen wirkten so unschuldig, dass ich mich verliebte. Die Ohren waren groß wie Suppenlöffel, mit einem teddybärigen Fell überzogen.
Der Hund erfüllte die Vorgaben des Storyboards zum Werbespot. Das würde der Chefin gefallen, denn nun könnten wir den gebuchten Hund absagen und Geld sparen. Den Pudel einfach mitzunehmen und an die Firma auszuleihen, würde meinen Erfolg unterstreichen und ein Zusatzhonorar an Anerkennung einbringen. Ich streichelte das Tierchen, sein Zittern beruhigte sich und ich steckte den Zwerg in meine Handtasche. Er ließ sich diese Behandlung gefallen, streckte neugierig den Kopf heraus und ließ sich tragen. Ich war nicht mehr allein mit dem Mord. Und dieses Wissen, dass ein Herz in meiner Nähe schlug, wenn auch nur das eines Pudels, gab mir den Mut, nach Hause zu gehen und mich in der Wohnung frisch zu machen, um den Arbeitstag pünktlich und unauffällig anzutreten.
Das Hündchen gehorchte mir auf Anhieb, sagte ich „Platz!“, blieb es sitzen, sagte ich „Fuß!“, lief es neben mir her. Ich nahm ihm das Halsband ab, löste dafür meinen Gürtel und legte ihm die Schlinge um den Hals. Das alte Band warfen wir weg. Dann gingen wir nach Hause.
Blaulichter, Polizei, Rettung. Robert war längst abgeholt worden, Keller und Durchgang zur Unfallstelle waren abgesperrt und nur die Bewohner des Hauses wurden durchgelassen. Der Hund machte mich als Mörderin unverdächtig und niemand fragte sich, wieso ich jetzt, in den frühen Morgenstunden, draußen herumgeisterte. Wir waren Gassi gegangen, das war mein Alibi, und der Kommissar, der noch ein paar Stunden zuvor an meiner Tür angeklopft hatte, streichelte das Tierchen und entließ mich mit dem Satz, es
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