Schwestern der Angst - Roman
nah an die Augen, dann hielt er sie weit weg. Seine Arme waren zu kurz. Was denn in meiner Tasche drin sei. Wieso ich so derartig gereizt sei.
Er setzte sein bittersüßes Lächeln auf, so ein zynisches, entwertendes, das er immer aufsetzte, wenn ich ihm etwas Liebes tun wollte, wenn ich ihn etwa zum Essen ausführte und auch gleich mitteilte, dass ich die Rechnung bezahlen würde, und er dann, mit einem schiefen Grinsen und vermeintlicher Witzigkeit, meinte: „Na, dann darf ich bei meiner Auswahl nicht auf den Preis schauen.“ Robert war kleinlich, nicht charmant. Er war nicht schlecht für den erotischen Hunger, aber ich hatte ihn satt, und jetzt in der Wohnung, als er nach seiner Brille suchte, die er mit einer achtlosen Geste immer von sich warf, als wäre sie schuld an seiner Alterssehschwäche, tat mir die Brille, ausgenützt und unbedankt, leid. Die Brille half ihm, Defekte zu kompensieren, und wurde ständig von ihm verlegt und dann beschimpft.
Er schaute durch diese Spekuliereisen hindurch und lautete den französisch auszusprechenden Champagnernamen auf Deutsch zusammen. Ein Sprichwort sagt: Verachtung schweigt. Ich sage: Verachtung spricht, und zwar spricht sie aus mir. Was für ein kleinlicher Dieb stand da vor mir? Ich grollte und ich wollte keinen Champagner mit ihm trinken und stellte die Handtasche auf das Sofa, drehte mich weg und setzte mich im Mantel hin.
Robert verstand mich nicht. Ich saß hier in meinem Wohnzimmer wie auf dem Bahnhof. Es war mir noch nicht klar, wohin ich wen auf Reise schickte. Er näherte sich von hinten und legte seine Langfinger auf meine Oberarme. Ich schüttelte sie ab. Er versuchte mich zu berühren.
„Verschwinde“, flüsterte eine Stimme. „Wirf ihn raus. Mach ihn fertig.“ Robert verstand anscheinend immer noch nicht. Er nahm den Champagner, ging in die Küche. Öffnete den Kühlschrank. Schloss ihn. Er ließ seinen Kopf hängen, sah mir mit schweren Augen von Weitem zu, ermüdet vom Nichtstun, während ich schon am Schreibtisch saß und auf die Tastatur des Computers hackte.
„Ich will mit dir schlafen“, sagte er plötzlich.
„Hau ab“, sagte ich.
„War etwas mit deiner Schwester?“, fragte er.
Ein Stich fuhr durch das Sonnengeflecht, und zugleich eine Hitze aufsteigen spürend, sagte ich: „Spinnst du?“ Mit schneidend scharfer Stimme schnitt ich ihm das Wort ab.
„Wann stehst du morgen auf?“, fragte er.
„Früh“, sagte ich und ging ins Bad. Duschte. Heiß. Dampf. Heißer. Noch heißer, bis die Haut rot war. Ich ließ die Dusche laufen. Aus einem Irrtum, einer Unkonzentriertheit heraus, vielleicht wegen des Wasserdampfes, weil er mir die Atemwege entspannte. Ich rubbelte mein Haar trocken. Dann hörte ich Robert. Wie er mich rief. Nicht laut. Eher fragend. Ich antwortete nicht.
Kurz darauf klimperte er mit Schlüsseln, ein Zippverschluss wurde geöffnet, ein Druckknopf gelöst. Ich erlauschte auch das kleinste Geräusch, eine kleine bockige Stelle, über die der Wagen des Zippverschlusses meiner Brieftasche stockend ratterte, die Erhebung der gesammelten Visitenkarten. Dann hörte ich das Knistern von Papier, das Klimpern von Münzen. Ich schlich mich heran, drückte mich an den Türstock, sah um die Ecke. Da stand Robert und bediente sich an meinem Geld.
„Was treibst du?“, fragte ich.
Seine Lieblingsphrase lautet: „Ich will nur mal nach dem Rechten sehen.“
„Und dazu vergreifst du dich an meiner Handtasche?“ Paul setzte ein schmutziges Grinsen auf. „Was glaubst du, wer du bist?“
„Ach ja“, lachte er auf. „Und wer hockte unterm Strauch und machte die Beine breit für den Nachbarsjungen?“
Ein gleißender Blitz machte mich blind vor Wut. Paul war vielleicht der Keil der Beschämung in meinem Fleisch, aber Robert hatte nicht die geringste Erlaubnis zur Kritik an meiner Person, schon gar nicht in meiner kritischen Situation.
Ich gab mich souverän ruhig und ging scheinbar in harmloser Absicht in die Küche zum Kühlschrank, holte die Champagnerflasche wieder heraus. Meine heiße Hand umfasste den Hals der eiskalten Flasche und trug sie mit mir ins Wohnzimmer. Robert hockte mit meiner Brieftasche auf dem Sofa und zählte ungeniert die Geldscheine. Ich holte Schwung und schmetterte die Flasche auf seinen Schädel. Der dumpfe Aufprall und der helle Knackton sagten mir in der Aufwallung großer Genugtuung und herrlicher Entspannung, dass Robert nie mehr an meine Tasche herankommen würde, denn nun rutschte er leblos
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