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Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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entschuldigte mich für mein Magenknurren und der Polizist entschuldigte sich für die Störung.
    In diesem Haus hätten Einbrecher ein besonders leichtes Spiel, denn die Baustelle reiche bis in das Erdgeschoß, sagte er. Alle Trennwände seien durchgebrochen. Dafür würde unser Haus in den nächsten Tagen einen Lift erhalten, sagte ich. Der Magen knurrte lauter. Was wollte ich zum Dinner essen? Worauf hatte ich Lust? Lust. Die Lust. Was machte mir Lust? Woran denken? Lust worauf haben? Was heißt, Lust zu haben? Nachdenken darüber, was Lust macht.
    „Lust sein oder Lust haben“, das ist hier die Frage, sagte der Kommissar. Er lud mich zu einem Stück Pizza ein. Ich schlug die Pizza aus, ich hatte Robert zu verdauen. Erstaunt über die Leichtigkeit, meinen Charme zur Vertuschung meiner Aufgewühltheit einzusetzen, scherzte ich und fragte, ob er mein Vertrauen erschleichen wolle, um mich dann einzubuchten? Er schmunzelte und überreichte mir seine Visitenkarte. Er bot mir eine Verabredung an, wann und wo ich wolle, bei der ich dann alles gestehen könnte. Er flirtete.
    „Ich kann immer“, sagte ich.
    „Wie spät ist es?“, fragte er.
    „Ich besitze keine Uhr, ich habe Zeit“, log ich.
    Er überlegte, was ich damit zum Ausdruck bringen wollen könnte, und wir verabredeten uns lachend für einen Samstag in zwei Wochen. Der Kommissar war ein kluger Mann. Er vermutete richtig, dass in diesem Haus die Fäden zusammenliefen. Zumindest die Fäden meiner Familientragödie. Ich alleine wob das Netz.
    Der Kommissar gehörte bereits mir, als er sich umwandte und das Treppenhaus abwärts lief. Mir wurde schwindelig, als hätte ich Höhenangst, als wäre mein Ich eine kleine schwere dichte Kugel, die unaufhaltsam eine Spindel hinunterrollte und meinen Körper nachzog. Die Fingerknöchel bohrten sich aus der immer fester um den Handlauf greifenden Faust. Mir war leicht übel. Mein Magen verlangte nach Tee. Dann spürte ich die Pflicht, Robert zum Verschwinden zu bringen, die Notwendigkeit, ihn zu kompostieren und das Terrain für einen neuen Mann zu planieren. Als der Kommissar verschwunden war und Ruhe einkehrte, setzte ich mein ungeheuerliches Werk fort. Ich entsorgte Robert und die Plage mit ihm. Es war nichts zu hören oder zu sehen im Hausflur. Nur auf- und zuschnappende Türen, vielleicht auch nur das Echo der eigenen Wohnungstür. Ich wuchtete Robert auf das Geländer und gab ihm einen Schubs. Dann fiel er hinab, sein schwerer Körper sauste abwärts und schlug mit einem satten Geräusch auf dem betonierten Boden auf. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Erleichterung und das positive Gefühl, etwas erledigt zu haben, begannen sich zu entfalten.
    Dann drehte ich mich um. Meine Tür war zugeschnappt. Ich musste hinunter. Zum Glück war es Roberts Gewohnheit, die Schlüssel immer in der Hosentasche zu tragen. Ich hätte es fast vergessen.
    Der Keller klaffte wie ein gefräßiger Schlund, der in den Bauch der Stadt führte. Unter dem Keller lag die Baustelle zur U-Bahn-Station, die ins Netz der Adern unter der Haut der Stadt mündete. Durch das Kellerlabyrinth des Hauses war es leicht, zur Baustelle zu kommen. Dort unten war es feucht und muffig. Wände trennten die dunklen Kellergrüfte, wo hinter Bretterverschlägen Zellen, Hausrat, Fliesen, Autoreifen, Wein und Knochen verrotteter Tiere lagen. Die Wände zur U-Bahn waren dünn, deshalb drang auch die blecherne Ansage der U-Bahn-Fahrer ins Stiegenhaus und bat aus Sicherheitsgründen zurückzutreten, da der Zug gerade abfuhr.
    Ich schleppte Robert auf die Baustelle und warf ihn auf die Geleise. Dann wartete ich den nächsten einfahrenden Zug ab. Das Dröhnen und Poltern der ankommenden U-Bahn erschütterte das Haus. Im Augenblick der einfahrenden Bahn hörte ich die Bremsen quietschen, die Metalle von Gleisen und Rädern. Funken sprühten. Ich stellte mir vor: Roberts Körper bäumte sich auf, als die Kufen seinen Kopf vom Rumpf trennten. Dann rann das Blut aus dem Halsstumpf. Erstaunlich war, dass ich zu diesen schrecklichen Bildern keine Stimmen vernahm.
    Ich war zu aufgekratzt, um einfach zu tun, als wäre nichts geschehen. Ich räumte die Wohnung auf, putzte die Champagnerflasche, um die Fingerabdrücke abzuwischen, wickelte sie in ein Tuch und wollte sie außer Haus schaffen. Ich trat ins Stiegenhaus und die blecherne Ansage ertönte und drang bis herauf. Ich trat an das Geländer heran und riskierte einen Blick in die Tiefe. Robert lag nicht mehr auf dem Betongrund.

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