Schwestern der Nacht
Stift in die Hand und fühle mich sehr merkwürdig. Ich kann mich noch gut an die Reporterin von der Frauenzeitschrift erinnern, die nach der Festnahme meines Mannes jeden Tag hier auftauchte, um mich dazu überreden, einen Artikel zu schreiben oder ihr ein Interview zu geben. Mein altes Mädchen hat sie nie hinters Tor gelassen, trotzdem kam sie fast drei Monate lang jeden Tag.
Aber eines schönen Tages blieb sie weg.
Natürlich. Enthusiastisch, wie sie war, hat sie wahrscheinlich geheiratet oder so!
Ich bin einsamer, seit sie nicht mehr kommt, kann aber nichtsdestotrotz eine gewisse Erleichterung nicht leugnen. Ich hatte schließlich noch etwas in Tokio zu erledigen und brauchte unbedingt eine Gelegenheit, hier wegzukommen...
Als mich die Nachricht über die Verhaftung meines Mannes erreichte, war ich gerade in meinem Atelier und malte.
Die Hintergrundfarbe des Gemäldes war rot. Was wohl Dr. Wells, mein Chicagoer Analytiker, dazu gesagt hätte?
Ich kann mir lebhaft vorstellen, daß er es wieder einmal auf meine unterdrückten sexuellen Wünsche zurückgeführt hätte.
Der Ortspolizist kam, um mich von dem Unglück zu informieren. Er hatte einen Durchsuchungsbefehl für die Sachen meines Mannes dabei, blieb aber sehr höflich.
Vielleicht war sein Respekt vor meinem Vater dafür verantwortlich. Vielleicht hatte man aber auch schon genug Belastungsmaterial beisammen, so daß eine Verurteilung sicher war. Man hat uns jedenfalls nicht allzusehr belästigt.
Der Chef der hiesigen Polizeiwache hat sich höchstpersönlich in meinem Atelier umgesehen. Er verhielt sich sehr zurückhaltend und hat die halbvolle Flasche Chloroform überhaupt nicht bemerkt, die zwischen meinen Farbdosen und Terpentinfläschchen stand. Ich habe mir nicht mal die Mühe gemacht, sie zu verstecken — wozu auch? Die Polizei behandelte mich mit Mitgefühl und Neugier...
Für sie stand fest, daß ich am Boden zerstört war — angesichts der Enthüllung, mein Mann sei ein Mörder mit perversen Vorlieben! Das paßte mir sehr gut; ich mußte ihnen kaum etwas vorspielen, nur auf dem Bett liegen und so tun, als ob mir der Schock die Sprache verschlagen hätte.
So ist das schließlich bei den Angehörigen von Verbrechern, oder? Je schlimmer das Verbrechen, desto mehr versuchen sie, sich zu vergraben und aus der Gesellschaft fernzuhalten. Wie gesagt, das paßte mir sehr gut.
Am meisten Angst hatte ich vor der Presse. Wenn sie nun ein Foto von mir machten? Man war jedoch taktvoll genug, mich in Ruhe zu lassen, vielleicht aus Mitgefühl mit der Ehefrau. Ein paar Typen von der Boulevardpresse versuchten mich vor die Kamera zu kriegen, aber ich machte ihnen einen Strich durch die Rechnung und setzte keinen Fuß vor die Tür. Die einzigen Bilder von mir, die veröffentlicht wurden, zeigten mich als Zwanzigjährige, die sich dramatisch in Pose wirft, und als Schulmädchen in Matrosenanzug und mit Bubikopf. Das ging in Ordnung — es gab keine Möglichkeit, mich wiederzuerkennen.
Dann fürchtete ich, daß ich vielleicht als Zeugin vor Gericht aussagen müßte. Ich beschloß, in den paar Monaten bis zur Verhandlung so viel abzunehmen, daß meine äußere Erscheinung nicht wiederzuerkennen sein würde. Ich begann systematisch zu hungern; nach wenigen Wochen sah ich einmal zufällig meine Beine und war ehrlich verblüfft. Was für wunderhübsche Beine ich immer gehabt hatte! Von oben bis unten gebräunt und wohlgeformt, mit festen Muskeln — wie die Beine einer Antilope. Wie stolz ich mein Leben lang auf sie gewesen bin! Ich hatte beim Tennisspielen immer die kürzesten Röckchen an, nur damit jeder sie bewundern konnte. Meine anderen Röcke ließ ich absichtlich hochrutschen, um die Männer sehen zu lassen, wie braun meine Oberschenkel waren, bis hinauf zu den winzigkleinen Höschen, die ich trug. Und da drunter, genau da, wo das Höschen aufhörte — wenn sie nur hätten sehen können, wie weiß die geheimsten Flecken meines Körpers waren!
Aber jetzt sahen sie wie die farblosen Knochen eines Skeletts aus. Ich zog mein Negligé hoch; die Farbe meiner Beine und meiner intimen Körperteile war dieselbe.
Ich zog das Negligé ganz aus und betrachtete mich nackt im Spiegel; ich war wirklich zum Skelett geworden.
Das Ganze griff jedoch meine Gesundheit an; ich schluckte Appetitzügler, um mein Gewicht zu drücken, und war schon bald zu schwach, um der Haushälterin Anweisungen zu geben. Mir fehlte sogar die Kraft, die Bettdecke hochzuziehen, wenn sie
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