Schwestern Des Blutes
Lichter waren zwar an, aber es war niemand zu Hause. Sein Körper funktionierte. Er war nicht tot – ich hatte ihn nicht komplett leer getrunken –, aber »er« war nicht da. Alles, was ihn zu einem einzigartigen menschlichen Wesen machte, hatte sich aus ihm heraus und in mich hineingesaugt. Oder so.
Zuerst war mir der Grund dafür nicht klar. War es das Trinken von Blut? Oder der Sex? Oder eine Kombination aus beidem?
Tja, genau das meine ich damit, dass der Begriff »Hirnsauger« leicht fehl am Platz ist. Ich hatte ihm nicht das Gehirn ausgesaugt, sondern dessen geistigen Inhalt – und zwar offenbar alles, was da war. Also, ausgenommen die Bereiche, die instinktive Handlungen kontrollieren, wie Atmung, Ausscheidungen, sexuelle Erregung, Fortbewegung usw. Dinge, die fest verdrahtet in der Wirbelsäule angelegt oder in jeder Körperzelle geklont sind. Ihr wisst schon, die Grundlagen.
Also, ich bin zwar ein Vampir, und wir haben ja den Ruf, dass wir, nun ja, recht kaltblütig sein sollen, wenn es um den Tod und den Umgang mit den Überresten unserer Opfer geht. Doch diese Entwicklung stimmte mich dann doch bedenklich. Sie ließ mich innehalten. Warum, fragt ihr? Aus zwei Gründen.
Erstens, was ich sofort herausfand, war die Tatsache, dass nicht mal die gründlichste Gedächtnislöschung die übermäßig Aufgegeilten davon abhalten konnte, mir in dem Verlangen nach mehr überallhin zu folgen. Lobotomierte Sexsklaven. Oder, genauer gesagt, IALSen: instinktiv aggressive lobotomierte Sexsklaven.
Hey, jetzt, wo ich so darüber nachdenke, glaube ich, ich habe tatsächlich eine neue Lebensform erschaffen: die toten Lebenden, oder vielleicht die Wachkomatösen?
Zweitens sind die meisten Vampire Einzelgänger. Wenn es unseren Zwecken dient, genießen wir es zwar, uns verehren zu lassen, aber meist sind wir sehr darum bemüht, unsere Privatsphäre zu wahren. Legionen von IALSen, die einem überallhin nachlaufen, das geht da einfach nicht. Außerdem ist es ermüdend. Diese Hörigen könnten glatt Werbung für Viagra machen.
Wenn ich also ihre Gedächtnisse nicht löschen konnte und die Kerle mir gnadenlos mit ihrem verzweifelten Verlangen nach einem Schäferstündchen unter Geschöpfen der Nacht nachliefen, dann blieb mir keine andere Wahl, als sie zu töten. Und das schien mir eine absolute Verschwendung zu sein – ganz zu schweigen davon, wie schwierig es sein kann, einen geeigneten Ort für die Entsorgung so vieler Leichen zu finden. Immerhin soll die Existenz von Vampiren ja ein Geheimnis bleiben.
Und selbst wenn ich jeden Einzelnen von ihnen verwandeln würde, dann wären sie eher Zombies als Vampire, weil sie, wie bereits erwähnt, weder Substanz noch Persönlichkeit oder Verstand haben.
Seufz.
O. k., wenn ihr es wirklich genau wissen wollt, dann gibt es noch einen dritten Grund zur Besorgnis.
Im Computerjargon gesprochen – und, ganz nebenbei, ich bin mittlerweile auch ein ziemliches Hightech-Genie. Glaubt ihr wirklich, »Bill Gates« war ein Mensch? Er war eine Computersimulation. Bin ich nicht brillant? Auf jeden Fall könnte man es so erklären:
Es war relativ einfach, jahrhundertelang ausgewählte Häppchen Weisheit von vorab überprüften Spendern zu mir zu nehmen. Ich trank ihr Blut, stillte meinen Appetit nach Sex, und einzelne Aspekte ihres Wissens schienen ganz einfach in meinen internen Speicher zu fließen und das, was schon da war, in einem mühelosen Verbesserungsprozess zu erweitern. Doch meine neue Angewohnheit, bei der Kombination von Blut und Sex durch eine – scheinbare – Mengenverschiebung erstaunliche Mengen an Informationen »herunterzuladen«, führte schnell zu einer Überladung meiner Kapazitäten. Deshalb brauche ich jetzt immer mehr neue Ventile, in die ich Wissen umleiten kann.
Ich sauge sogar dann noch Informationen auf, wenn ich längst in die Knie gegangen bin (was nicht gleichbedeutend ist mit »auf die Knie gehen«, wovon ich euch liebend gerne mal in einem späteren Eintrag erzählen werde). Wie es aussieht, sauge ich Wissen mittels kosmischer Osmose auf. Ist das nicht der Hammer?
Und obwohl ich relativ überzeugt davon bin, dass meine innere Festplatte nicht abrauchen wird, kann man ja nie so ganz sicher sein. Und so gesellt sich eine weitere zu meinen kleinen Sorgen des Lebens. Ich meine, wie viel an Wissen, Weisheit und Intellekt kann ein Individuum aushalten – selbst wenn ich es bin?
Vielleicht wollt ihr wissen – und das völlig zu Recht –, wie
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