Schwestern Des Blutes
Kontrolle zu halten? Na, das war doch eine Überlegung wert.
Ich schenkte Jeran mein wärmstes Lächeln, während ich mich vorbeugte, mit der Zunge über seine Lippen fuhr und ihm einen innigen Kuss gab. Dann nahm ich eine seiner Locken zwischen die Finger und strich sie ihm von der Wange, während ich ihm aufrichtig liebevoll in die Augen sah.
Ich ging um das Bett herum, machte es mir neben Niven bequem und drückte ihm einen sanften Kuss auf die wunderschönen Lippen. Mit einem langen, glänzend silbern lackierten Fingernagel – sind sie nicht einfach zum Verlieben, all diese neuen Farben, die so über die Jahrhunderte aufgekommen sind? – ritzte ich die Ader an meinem Handgelenk auf, ließ Blut in Nivens Mund tropfen und sah zu, wie er meine Lebenskraft in sich aufnahm. Ich fühlte, wie meine Essenz in ihn floss, und hörte, wie Jeran Worte in einer fremden Sprache rezitierte.
Plötzlich gab es einen sehr lauten Knall, wie von einem riesigen, zerbrechenden Ast oder einem Donnerschlag direkt über meinem Kopf, und dann eine Explosion aus blendend weißem Licht. In den paar Sekunden, die ich brauchte, um den Kopf zu heben und den Raum zu überblicken, war Jeran vom Bett verschwunden. Ich konzentrierte mich auf Niven, der aufgewacht war, mit Augen so groß wie Untertassen und Blut, das von seinen Lippen über sein Kinn lief. Nachdem schon Tausende gehirnentleerte Liebhaber auf mein Konto gingen, hatte ich inzwischen genug traumatisierte Gesichter zu sehen bekommen, um eines zu erkennen, wenn ich ihm begegnete. Er war völlig benommen und verwirrt.
»Niven?« Ich schlug ein paarmal gegen seine Wange, bis er schließlich mein Handgelenk packte.
Er setzte sich ruckartig auf, zwinkerte heftig und griff nach mir.
»Es hat funktioniert!« Er packte mich an den Schultern. »Zara, ich bin ein Mensch!« Er hüpfte aus dem Bett, stolzierte in seinem neuen Körper herum und kicherte wie ein Kind.
Lächelnd tanzte er auf mich zu und breitete die Arme aus.
Wie der Blitz war ich über ihm und saugte ihm das Blut aus der dicken Ader an seinem Hals.
»Nein!« Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er versuchte mich wegzustoßen, doch es war ein vergeblicher Kampf. »Nein! Zara, nein! Bitte! Tu mir das nicht an! Bitte tu mir das nicht an!«, flehte er mit vor Angst erstickter Stimme.
Dabei strampelte er weiter gegen mich an, aber kräftemäßig war er mir nicht einmal annähernd gewachsen.
Ich trank, bis sein Körper schlaff zu Boden sackte. Dann öffnete ich die Ader an meinem Handgelenk noch einmal und hielt ihm die tropfende Wunde an den Mund.
»Das muss doch wie ein Déjà-vu für dich sein, Jeran, nicht wahr?«, fragte ich mit gespielter Ruhe. »Weißt du noch, wie ich genau dieselben Worte zu dir gesagt habe? Wie ich dich angefleht habe? Du hast doch nicht wirklich gedacht, ich würde dich so einfach davonkommen lassen, oder? Tja, das Leben macht dich alle, und dann musst du sterben. Oh, warte.« Ich lachte. »Zara macht dich alle, und dann darfst du nicht sterben!«
5
L aut Mythos braucht es ja drei Nächte oder eine gewisse Anzahl an Blutzufuhren, um einen Vampir zu erschaffen – aber da ist nichts Wahres dran. Nachdem ich Niven – oder Jeran – oder wer immer auch er nun war, erst ausgesaugt und dann mit meinem Blut genährt hatte, war die Sache erledigt. Innerhalb von Minuten erwachte er wieder als ein vollwertiges, blutsaugendes Geschöpf der Nacht.
Hach, es war ja wirklich zu schade. Dieses ganze Planen und Verschwören und Manipulieren – alles umsonst. Nun ja, ich vermute, Jeran sollte dankbar sein, dass er überhaupt in irgendeiner Form wieder auf der Erde ist. All die Jahrhunderte im Licht dieser anderen Dimension schwebend zu verbringen, konnte nicht annähernd so vergnüglich gewesen sein, wie Zeit mit mir zu verbringen, und jetzt besaß er wieder einen richtigen Körper. Nein, er konnte nicht im Sonnenschein wandeln, und er würde auch nicht diesen »wahren Tod« erfahren, den er sich so sehr wünschte. Ach ja. Als er wieder zu sich kam, war er derart wütend, dass ich mich lieber dünnmachte, also kann ich nicht genau sagen, ob er all seine Kräfte behalten hat. Im Moment weiß ich also nicht so wirklich, womit ich es zu tun habe. Aber das Leben steckt voller Überraschungen.
Belassen wir es dabei, dass ich das Haus in Boulder geschlossen und mich ziemlich spontan in den Urlaub begeben habe.
Ich vermute mal, ihr seid vielleicht etwas ungehalten über meinen kleinen Streich.
Weitere Kostenlose Bücher