Schwestern Des Blutes
Margaret zählte zu jenen Briten, die sich eine tiefe Verachtung für alle Franzosen bewahrten, ganz gleich wie viele französische Speisen sie servieren oder wie brav sie den französischen Moden folgen mochten. »Seine Familie lebt bereits seit vielen Generationen in England.«
Payen lächelte, denn es gefiel ihm, sie zu necken. »Demnach waren sie früher Franzosen, aus Villiers, nehme ich an.«
Margaret rümpfte die Nase und wollte ihm das Bild wieder abnehmen. »Er ist ein reizender junger Mann. Und er war in Oxford.«
»Das war ich auch«, erwiderte Payen. Ein letztes Mal sah er auf die Fotografie, und als seine alte Freundin sie ihm abnehmen wollte, umklammerte er den Rahmen fester. Das handgeschnitzte Holz knarzte. »Heiliger!«
Payen entriss Margaret hastig das Bild.
»Autsch!« Margaret schüttelte ihre Hand.
Doch er beachtete sie gar nicht. Für gewöhnlich hätte er sich umgehend entschuldigt, schließlich war er ein ausgesprochen höflicher Mann, aber seine Manieren gingen im Rauschen seines Pulses unter. Er sprang auf, weil ihm ein winziges Detail an dem Bild auffiel.
Es wäre ihm entgangen, hätte Villiers sich nicht entschieden, für die Aufnahme seine Hand über die Violets auf seiner Schulter zu legen.
Und an einem Finger des jungen Mannes steckte ein Ring. Der Glanz verriet Payen, dass es sich um Silber handelte, was er aber nicht zu wissen brauchte, um das Zeichen auf dem Schmuckstück zu erkennen. Wäre er menschlich gewesen, hätte er diese Feinheit womöglich nicht ausmachen können; doch Payen war schon so lange kein Mensch mehr, wie Villier und seine Familie keine Franzosen mehr waren.
Der Junge trug das Zeichen des Silberhandordens. Eine halbe Ewigkeit hatte Payen dieses Zeichen nicht mehr gesehen, deshalb hätte er es beinahe nicht wiedererkannt. Aber da war es: eine Erinnerung daran, wie er zu dem geworden war, was er jetzt war. Eine Erinnerung an den Verrat, der ihn noch heute in Rage versetzte.
Die Silberhand war von abtrünnigen Templern gegründet worden, von Männern, die sich angeblich den Titel »Ritter« verdient hatten. Es war derselbe Orden, vor dem Payen geschworen hatte, den Blutgral zu schützen, und der die Templer verraten hatte, indem er die entsetzlichen Gerüchte, die König Philipp von Frankreich in die Welt gesetzt hatte, verbreitete. Ihretwegen hatten viele zu Unrecht gelitten. Jacques de Molay, der letzte Großmeister, war lebendig verbrannt worden. Payen hatte viele Freunde verloren, und bis heute fühlte er sich bisweilen schuldig, weil er überlebt hatte. Der Blutgral war fort, er stand jetzt unter dem Schutz anderer. Und immer noch existierte Payen, weil er ein Versprechen gegeben hatte: Solange der Blutgral da war und sich nur der kleinste Hinweis auf die Silberhand ergab, würde er weitermachen.
Das war sehr lange her. Umso mehr fröstelte ihn, jetzt das Zeichen jener Gruppe zu sehen, von der er bereits zu hoffen gewagt hatte, dass sie sich endgültig aufgelöst hätte. Beim Anblick dieses Ordensmitglieds, das Violets Hand hielt, setzte Payens Herzschlag aus.
»Payen, mein Guter, was ist nur mit dir?« Margaret verbarg ihre Sorge wie immer nicht.
Er sah sie an. Zweifellos hatte sie eine Reaktion von ihm erwartet, als sie ihm von Violets bevorstehender Vermählung erzählte. Aber diese Reaktion wohl nicht. »Wann ist die Zeremonie?«
»Morgen Vormittag. Ich breche um acht Uhr auf. Payen? Wo willst du hin?«
Hastig reichte er ihr die Fotografie. Er musste sich beeilen und vor Sonnenaufgang dort sein, rechtzeitig, um mit Violets Vormunden, Henry und Eliza, zu sprechen.
»Sei so gut und lass meine Sachen nach Hertford schicken, altes Mädchen. Und spare dir die Mühe, morgen früh aufzustehen.« Er lächelte grimmig. »Es wird keine Hochzeit geben.«
Am Abend vor ihrer Hochzeit sollte eine junge Frau glücklich sein, dachte Violet Wynston-Jones, als sie sich im belebten Ballsaal ihres Vormunds, des Earl of Wolfram, umsah. Sie sollte außer sich sein vor Freude, dass all ihre Freunde und Angehörigen gekommen waren, um dabei zu sein, wenn sie einen überaus passenden und gutaussehenden jungen Mann heiratete.
Warum war sie es dann nicht? Woher rührte diese anhaltende Sorge und Furcht? Die Antwort war eindeutig, angesichts des Sehnens, das sie in ihrer Brust verspürte, wann immer sie zur Tür blickte.
Payen war nicht hier. Er würde nicht kommen. Selbst wenn er es schaffte, rechtzeitig einzutreffen, konnte er nicht riskieren, am helllichten Tag
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