Schwestern Des Blutes
mich wartete?«
»Dein Vater?«
Bei Elizas Kopfschütteln wippten ihre Ohrringe aus Diamanten und Smaragden. »Henry.«
»Wusste er, dass du weglaufen wolltest?«
»Nein, er wollte weg. Er war nur gekommen, um mir Lebwohl zu sagen.« Auf Violets stummen Aufschrei hin fuhr sie fort: »Er konnte die fortwährende Einmischung seiner Mutter nicht mehr ertragen und hatte beschlossen, in der Nacht nach Frankreich zu fliehen.«
»Und was ist passiert? Offenbar habt ihr ja doch noch geheiratet.« Das Ende der Geschichte war Violet ja bekannt, der Mittelteil hingegen nicht, und der interessierte sie brennend.
»Haben wir. Wir begriffen beide, dass wir im Grunde vor unseren Familien mit ihren Plänen und Erwartungen davonliefen. Also brannten wir nach Gretna Green durch. Wie du weißt, bin ich nur wenige Meilen entfernt in Cumbria aufgewachsen. Und hinterher kehrten wir rechtzeitig zur kirchlichen Trauung zurück, als verheiratetes Paar.«
Grinsend schüttelte Violet den Kopf. »Warum? Ihr seid durchgebrannt, wozu dann noch die Zeremonie am nächsten Tag?«
Eliza strahlte wie ein verzücktes Kind. »Weil wir es unseren Eltern schuldig waren, die sich solche Mühe mit den Vorbereitungen gemacht hatten. Als Mann und Frau konnten wir uns gegen ihre Strenge zur Wehr setzen, und das Wissen, dass wir bereits vermählt waren, machte alles andere unwichtig.«
Violet kannte sowohl Elizas als auch Henrys Eltern und konnte sich ausmalen, was für einen Aufruhr es gegeben haben musste. »Gewiss wollte dir deine Mutter den Hintern versohlen.«
»Wollte sie, doch konnte sie nichts mehr tun, denn ich stand nicht mehr unter ihrer Obhut.«
Beide kicherten leise, und als Eliza die Arme ausbreitete, schmiegte sich Violet ohne Zögern in die liebevolle Umarmung.
»Vertraue deinem Herzen, meine Liebe«, flüsterte die Ältere ihr ins Ohr. »Es wird dich nie irreführen.«
Violets gute Laune schwand, doch sie lächelte tapfer weiter. Genau das bereitete ihr ja Kummer. Ihr Herz sagte ihr, sie sollte schleunigst verschwinden, so weit weglaufen, wie sie irgend konnte.
Als Eliza sich wieder ihren Pflichten als Gastgeberin widmete, blickte Violet sich erneut um. Panik regte sich in ihrer Brust. Es musste einen Ausweg geben, eine Möglichkeit, dem hier zu entfliehen, ohne alle zu enttäuschen.
Und dann, als hätte Gott ihr Elend erkannt und ein Erbarmen mit ihr, flog die Ballsaaltür auf. Das kleine Streichquartett auf der Eckempore verstummte, die Tanzenden erstarrten. Sämtliche Augen richteten sich auf den Neuankömmling, der in der offenen Tür stand, das Haar windzerzaust.
Violet blieb das Herz stehen. »Oh, nein«, flüsterte sie und warf einen ungläubigen Blick gen Himmel. »Warum musstest du ausgerechnet dieses Gebet erhören?«
Es war Payen, der keinen Tag älter aussah als vor fünf Jahren, als er sie verlassen hatte. Ja, sein Haar war ein wenig verändert, ein bisschen kürzer und ordentlicher geschnitten, aber noch genauso dicht und golden. Seine Augen hatten dieselbe Sherry-Farbe wie in Violets Erinnerung, seine Lippen waren genauso köstlich vollkommen, fast zu sinnlich für einen Mann. Er war die Schönheit in Person, ein fleischgewordener Apollon. Seine über einen Meter neunzig große Gestalt in Abendgarderobe hätte Engel zum Weinen gebracht. Mit fliegendem Wams schritt er in den Saal, den Blick einzig auf eine Person geheftet: sie.
Violet erschauerte unter der Intensität dieses Blicks. Was auch immer seine Gründe sein mochten, heute Abend herzukommen, ihr Glück zu wünschen gehörte eindeutig nicht dazu.
Er war nur noch wenige Schritte von Violet entfernt, da stellten Eliza und Henry sich ihm in den Weg. Und Rupert, der begriff, dass hier etwas Seltsames vorging, eilte an Violets Seite. Aufgeregtes Raunen ging durch den Ballsaal. Wer ist das? Was tut er hier?
»Carr«, begrüßte Henry ihn warmherzig, allerdings auch wachsam. »Welch angenehme Überraschung.«
»Dies ist kein Höflichkeitsbesuch, Henry«, erwiderte der Vampir mit seiner tiefen, rauen Stimme. Heute Abend sah er wahrhaftig wie ein Vampir aus, wie ein Raubtier, das den finstersten Schatten entsprungen war. Und, Gott stehe ihr bei, Violet würde sich hier vor allen von ihm verschlingen lassen, sollte er darum bitten.
»Wir geben ein Fest, Payen«, sagte Eliza leise. »Vielleicht weißt du es noch nicht, aber Violet wird morgen heiraten.«
Der kurze Blick, den er Eliza zuwarf, sprühte Funken, die Violet bis in die Zehenspitzen fühlte. »Ich
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