Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
sich ihrer Umgebung optisch anpassen konnten.
Ehe ich die Tür aufstieß, holte ich tief Luft und rief die Macht der Mondmutter herab. Die Ladung baute sich in meinen Händen auf, und sobald ich mich ausreichend bewaffnet fühlte, stieß ich vorsichtig mit der Schulter die Tür auf, schlüpfte in die Küche und überprüfte den Raum mit einem einzigen Blick.
Die Küche war leer, doch irgendetwas fühlte sich seltsam an. Während ich mich umsah und versuchte, die disharmonische Energie einzuordnen, bemerkte ich, dass Maggies Kiste fehlte. Iris, die normalerweise mit dem Kopf im Kühlschrank anzutreffen war, war ebenfalls nirgends zu sehen. Hausgeister aßen für ihr Leben gern. Verdammt, was war mit den beiden passiert?
Chase drängte sich dicht hinter mich.
»Bleib ein paar Schritte zurück. Ich habe genug Energie in den Händen, um dich in zwei Hälften zu spalten – es wäre wirklich nicht ratsam, versehentlich in meine Schussbahn zu geraten«, sagte ich leise.
Er gehorchte, richtete seine Waffe vorsichtshalber an die Decke und blickte sich nervös um. »Was jetzt?«
»Ich will wissen, wo Maggie und Iris sind«, sagte ich. »Eigentlich müssten sie beide in der Küche sein. Vielleicht gibt es eine logische Erklärung dafür, dass sie nicht hier sind, aber mir gefällt die Energie nicht, die hier drin hängt.«
Als ich mich darauf einstimmte, fühlte es sich an, als hätte statisches Rauschen alle Sender überlagert. Ich konnte Maggie nirgends aufspüren, und Iris und Menolly ebenso wenig. Ich starrte den Flur entlang zum Wohnzimmer. Die dämonische Aura kam von dort und wurde ständig intensiver. Wer auch immer uns dort erwartete, besaß mehr Macht, als ich am anderen Ende eines Zauberstabs begegnen wollte.
Ich dachte daran, Delilah und Morio zu holen, doch dann wäre Tom ungeschützt gewesen. Wir konnten es nicht wagen, ihn ins Haus zu bringen, ehe wir uns davon überzeugt hatten, dass es sicher war. Mir kam der scheußliche Gedanke, dass auch die Dämonen sich getrennt haben könnten – das sähe ihnen ähnlich. Das würde uns die Arbeit erleichtern, denn einer war einfacher zu töten als zwei, aber es würde auch bedeuten, dass wir viel länger wachsam bleiben müssten.
Schritt für Schritt schlich ich den Flur entlang und betete darum, dass die Dämonen Iris und Maggie nichts getan hatten. Ich hatte heute Morgen gar nicht daran gedacht, dass die beiden in Gefahr sein könnten – unser Haus war mit Bannen geschützt. Aber irgendetwas war durchgebrochen. Mit einem flauen Gefühl im Magen ging ich die Möglichkeiten durch und hoffte inständig, dass mir nur meine lebhafte Phantasie einen kleinen Streich spielte. Es war sehr dumm von mir gewesen, die beiden schutzlos zurückzulassen.
Chase folgte mir. Ich roch seine Angst, aber auch gespannte Erwartung, und ich merkte, dass ein Teil von ihm dies hier genoss. Die Jagd . Das verstand ich nur zu gut. Die Mondmutter und alle, die ihr folgten – Mondhexen, Werwesen oder Mitglieder der Wilden Jagd –, konnten ein blutrünstiger Haufen sein. Sie war keine sanfte Göttin, die Kinder beschützte und Gutenachtgeschichten erzählte, sondern eine kalte, strenge Herrin, die einforderte, was ihr zustand.
Wir näherten uns dem Ende des Flurs, und ich spürte eine Bewegung in der Nähe. Ich holte tief Luft und machte mich bereit.
Als ich um die Ecke ins Wohnzimmer sprang, sah ich einen großen Mann mitten im Raum stehen. Er hatte eine schockierende, goldene Punkfrisur, und seine Augen leuchteten scharlachrot und hatten keine sichtbaren Pupillen. Er trug ein Seidenhemd und eine braune Hose, doch sie waberten mitsamt seinem ganzen Körper, und ich erkannte, dass ich eine Illusion vor mir hatte. Morio hätte sie zerstören können, damit wir die wahre Natur des Geschöpfs erkennen konnten, doch ich hatte Chase dabei, und der blieb abrupt stehen, vollkommen bezaubert von diesem Anblick.
»Er ist wunderschön –«, begann Chase.
»Nein«, fiel ich ihm ins Wort. »Das ist eine Illusion. Das ist der Psychoschwafler, und er kann dich bezaubern, also sei vorsichtig.«
Der goldene Mann lachte, doch es klang nicht freundlich. Definitiv nicht der Weihnachtsmann, dachte ich. Ich hatte den Weihnachtsmann kennengelernt, und der war wahrhaftig ein Heiliger in hässlichen Klamotten. Dieser Mann... nein, kein Mann – Dämon... dieser Dämon sah zwar hübsch aus, aber er war das personifizierte Böse, und wenn ich mich nicht voll konzentrierte, würde er jeden kleinen Fehler,
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