Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
Delilah, Chase und Menolly drängten sich hinter mir zusammen. Nach einigen Augenblicken sagte eine Stimme auf der anderen Seite des Glases: »Was kann ich für Euch tun?«
»Erdwelt-Abteilung, erstatte Meldung.« Wie gesagt, Menschen hatten den Sidhe nichts voraus, was die Bürokratie anging. Der Nebel lichtete sich, mein Spiegelbild verschwand und wurde durch ein Gesicht ersetzt, nach dem ich mich schon seit Monaten sehnte.
»Vater!« Ich wäre fast vom Stuhl gesprungen, doch das entsprach nicht dem Protokoll. Ich zwang mich, still sitzen zu bleiben. Immerhin war er ein ranghoher Offizier, und wir schuldeten ihm den gebührenden Respekt. Außerdem würde er es melden, wenn ich nicht die korrekte Verfahrensweise einhielt, und das Letzte, was ich brauchte, waren noch mehr negative Einträge in meiner Akte.
Delilah jedoch konnte sich nicht beherrschen. Sie hüpfte hinter mir winkend auf und ab. Menolly beugte sich über meine Schulter und sog gierig den kleinen Ausschnitt der Anderwelt ein. Heimweh troff von ihrer Aura, dick wie Honig, und in diesem Augenblick erkannte ich, dass sie von uns allen am meisten verloren hatte, indem sie diesen Posten angetreten hatte.
»Camille!« Vater erlaubte sich ein Lächeln, und seine Augenwinkel legten sich in Fältchen, als er sich vorbeugte. Er war ein gutaussehender Mann, der nach menschlichen Maßstäben jung wirkte, doch er war viel älter als jeder Mensch, der auf Erden wandelte. Abgesehen von Tom Lane. Er war mittelgroß, schlank und fit, langgliedrig und muskulös, und er trug das blauschwarze Haar zu einem langen Zopf geflochten. Mein Haar hatte genau dieselbe Farbe, und meine violetten Augen hatte ich auch von ihm. Es überraschte mich, dass er sich nie eine Freundin gesucht hatte. Unsere Mutter war schon sehr lange tot, doch er traf Frauen nur auf Partys und bei anderen gesellschaftlichen Anlässen.
»Ich bin so froh, euch zu sehen, Mädchen«, sagte er. »Ich habe mich heute freiwillig für den Kommunikationsdienst gemeldet, weil ich Husten habe, aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich tatsächlich Gelegenheit bekommen würde, mit euch zu sprechen.« Sein Blick huschte über Delilah, Menolly und Chase. »Meine Mädchen, wie geht es euch?«
Ich stieß ein langgezogenes Seufzen aus. »Hast du Trillian gesehen? Lebt er? Hat er dir erzählt, was hier vor sich geht?«
Bitte, bitte, bitte , dachte ich, bitte sag mir, dass Trillian noch lebt .
Vater nickte. »Ja. Er ist schwer verletzt, aber er lebt. Die Ärzte haben es geschafft, die Vergiftung zu behandeln.« Er warf einen Blick über die Schulter, beugte sich dann zum Spiegel vor und senkte die Stimme. »Ich sorge dafür, dass er morgen durch Großmutter Kojotes Portal zu euch zurückkehrt. Ihr müsst euch um ihn kümmern, bis er sich vollständig erholt hat, und das wird mindestens einen Monat dauern.«
Ich atmete auf. »Den Göttern sei Dank. Aber warum entlassen sie ihn so schnell von der Krankenstation?«
»Die Götter hatten mit seiner Rettung nichts zu tun«, erklärte Vater kopfschüttelnd. »Du darfst dich bei den Sanitätern bedanken, die große Mühen auf sich genommen haben – trotz ihrer persönlichen Abscheu –, um ihn am Leben zu erhalten. Wir stecken in Schwierigkeiten, Camille, und ich fürchte, er wird in Y’Elestrial nicht mehr lange sicher sein. In ein paar Tagen hier... gibt es keine Sicherheit mehr für seinesgleichen.«
Ich verengte die Augen. »Was ist da los? Das Hauptquartier scheint es überhaupt nicht zu kümmern, dass wir es hier mit einer potenziellen Katastrophe zu tun haben. Die Anderwelt – die Erde – beide Welten sind in großer Gefahr. Dämonen schleichen sich auf die Erde und suchen nach den Geistsiegeln, um die Portale zu sprengen. Schattenschwinge bereitet einen Krieg vor, er will über die Erdwelt und die Anderwelt herfallen. Und uns steht ein Kampf mit Bad Ass Luke bevor.«
Vater nickte knapp. »Ich weiß. Trillian hat es mir gesagt. Was ist seit dem Kampf mit dem Fellgänger geschehen? Schnell, und lass ja nichts aus.«
Ich erklärte ihm rasch, was seitdem passiert war.
»Und ihr habt Tom jetzt bei euch?«
»Ja«, sagte ich, »er sitzt unten. Morio bewacht ihn – ein Yokaikitsune, Großmutter Kojote hat ihn uns zur Unterstützung geschickt. Den Göttern sei Dank, dass sie sich dazu durchringen konnte, denn Morio hat uns mehr als einmal den Arsch gerettet. Aber Bad Ass Luke läuft noch da draußen herum, und wir sind sicher, dass er uns angreifen wird,
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