Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
siebenhundert Dollar – das war einfach nicht drin. Und unser Gehalt vom AND war erdseits nicht viel wert. Wir würden noch eine Weile bei Ikea bleiben müssen, obwohl mir edle Designer viel lieber gewesen wären.
Die Bella Gata Boutique war geöffnet. Ein älteres Ehepaar sah sich die Auslagen voll Chintz und Porzellan an, doch ansonsten war der Laden leer. Delilah hielt sich zurück und ließ mich allein zum Ladentisch gehen, als eine Frau dahinter um die Ecke spähte. Einen Augenblick lang dachte ich, sie könnte menschlich sein, doch dann spürte ich den Glamour-Zauber, mit dem sie sich tarnte. Wahrscheinlich wollte sie sich die Fans und Spinner vom Leib halten, die so oft unsere Nähe suchten. Ich vermutete allerdings, dass sich der Umsatz in ihrem Laden verdreifachen würde, wenn sie die Leute wissen ließe, dass sie eine Fee war. Guter Geschäftssinn machte einen ja nicht gleich zum Schwarzen Mann, im Gegenteil – ich hatte den Schwarzen Mann mal kennengelernt, und er war weiß Gott kein Bill Gates.
Ich beugte mich über den Ladentisch. »Wir suchen nach Rina«, sagte ich mit neutralem Blick. Sie zuckte zusammen, und ich wusste, dass ich sie gefunden hatte.
»Was wollt ihr?«, fragte sie und blickte sich nervös um.
»Informationen. Wir sind vom AND.«
Daraufhin ließ sie ihre Tarnung fallen, und ihre wahre Schönheit schimmerte auf. Als ihr Haar blonder, ihre Augen dunkler und strahlender wurden, erkannte ich, warum die Königin sie verbannt hatte. Rina war eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen hatte, und mir war klar, dass sie durchaus eine Bedrohung für die königliche Eitelkeit darstellte.
»Hat Lethesanar euch geschickt?« Ihre Schultern waren trotzig gestrafft, und ich spürte, dass sie sich zum Kampf bereit machte.
Ich schnaubte. »Glaubst du wirklich, die Königin wollte mit uns etwas zu tun haben? Wir sind halb menschlich, falls du es noch nicht bemerkt hast. Beruhige dich, wir sind nicht hier, um dir Ärger zu machen. Wir haben uns nur daran erinnert, dass du früher in der Anderwelt eine Hüterin des Wissens warst, und wir wollten dich fragen, ob du etwas über eine bestimmte Legende weißt. Ich heiße Camille D’Artigo«, fügte ich hinzu und neigte tief den Kopf. »Das ist meine Schwester Delilah.«
Rina blinzelte. »Jetzt, da du es erwähnst, sehe ich auch, dass ihr nicht reinblütig seid. Ich erinnere mich – du und deine Schwestern wart oft Thema bei Hofe. Ein paar Leute wollten euch unbedingt in die Goblinreiche schicken. Offenbar haben sie das Nächstbeste durchgesetzt.« In ihrer Stimme lag ein Anklang der alten Feindseligkeit, mit der wir aufgewachsen waren. Rina mochte also keine Halbblüter.
Ich machte schmale Augen und beugte mich über die Theke. »Hör zu, meine Freundin . Unsere Abstammung hat mit dieser Angelegenheit nichts zu tun. Wir arbeiten für den AND, das sollte dir genügen. Auch im Exil bist du der Krone zur Treue verpflichtet. Also, wir sind auf etwas gestoßen, das möglicherweise eine große Gefahr für die Erde sowie für die Anderwelt darstellt. Wirst du uns freiwillig helfen, oder muss ich erst das Hauptquartier anrufen?« Ich bluffte nur, aber das brauchte sie ja nicht zu wissen.
Sie zögerte, und ich sah ihr an, dass sie die Sache von allen Seiten betrachtete. Eigentlich hatte sie keinen Grund dazu, die Königin sonderlich zu mögen oder den AND zu unterstützen, aber wenn ich ihr einen kleinen Schubs versetzte, würde sie vielleicht doch den Mund aufmachen.
»Was wollt ihr wissen?«, fragte sie schließlich.
»Wir müssen wissen, ob du von einem Mann namens Tom Lane gehört hast, der eines der Geistsiegel besitzt. Wir wissen, dass er am Leben ist und sich in der Nähe des Mount Rainier aufhält, und wir müssen ihn finden.«
Rina warf einen Blick auf die paar Kunden, die sich ihre Auslagen ansahen. »Geht in mein Büro und wartet dort auf mich. Ich komme gleich nach«, sagte sie und wies auf eine Tür am Ende des kurzen Flurs hinter dem Ladentisch.
Delilah und ich schlenderten den Gang entlang und betraten das Zimmer. Es war spärlich eingerichtet mit einem hübschen Sofa an einer Wand, einem Bücherregal daneben und einem großen Schreibtisch aus Walnussholz samt Ledersessel, die den Rest des Kämmerchens ausfüllten. Ich machte es mir auf dem Sofa gemütlich und warf Delilah einen Blick zu. Die ersten Vorboten starker Kopfschmerzen rumorten in meinem Hinterkopf herum, doch ich hatte das Gefühl, dass sie nicht nur vom Schlafmangel
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