Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
unternehmen müssen .«
Während ich mein Croissant auseinanderzupfte, musste ich mich fragen, ob wir, zur Hölle, überhaupt eine Chance hatten, das durchzuziehen. Hölle war dabei wohl der springende Punkt.
Unser nächster Schritt war die Suche nach der Harpyie, doch Chase musste erst auf dem Revier vorbeischauen. Ich beschloss, inzwischen rasch zum Laden zu gehen.
»Wir treffen uns im Indigo Crescent«, sagte ich. »Ich lasse mir schon mal was einfallen, wie wir diese Harpyie finden können.« Ich sprach mit viel mehr Zuversicht, als ich empfand, aber irgendjemand musste hier die Initiative ergreifen, und es war unwahrscheinlich, dass Chase wissen könnte, wie man eine riesige Vogelfrau zur Strecke brachte, die sich irgendwo in der Stadt herumtrieb. Allerdings dürfte es hier nicht einfach für die Harpyie sein, sich zu verbergen. Wie viele riesenhafte Vogelfrauen konnte es in Seattle schon geben? Früher oder später musste irgendjemand sie sehen und hoffentlich die Polizei oder die Tierfänger rufen.
Ich fand erst drei Querstraßen vom Indigo Crescent entfernt einen Parkplatz, aber das war mir ganz recht. Auf dem Weg zum Laden musste ich nämlich am Scarlet Harlot vorbei, Erin Mathews’ Dessous-Boutique. Ich hatte ohnehin bei ihr vorbeischauen wollen, um mir ihre neue Kollektion anzusehen, und da Chase erklärt hatte, er werde in etwa einer Stunde in der Buchhandlung sein, hatte ich Zeit, um mich ein bisschen umzusehen.
Erin stand am Ladentisch und sah wesentlich professioneller aus als bei den Treffen des Vereins der Feenfreunde. Ihre Augen leuchteten auf, als sie mich durch die Tür kommen sah, und sie winkte mir fröhlich zu. Ich hatte ihr erlaubt, ein Foto von mir an die Wand zu hängen, und darunter stand: »Camille D’Artigo – Buchhandlung Indigo Crescent – ist unsere Stammkundin«, und das allein brachte ihr schon mehr Umsatz. O ja, Feen waren wirklich gut fürs Geschäft.
Sie kam eilig hinter dem Ladentisch hervor. »Camille! Wie schön, dich zu sehen. Was macht das Geschäft?«
Ich konnte ihr wohl kaum erzählen, dass ich eigentlich gerade auf Dämonenjagd war, also nickte ich nur und murmelte etwas Unverbindliches vor mich hin, während ich schon an den Kleiderständern herumstöberte. »Ich wollte nur mal vorbeischauen und mir ansehen, was du so in Pflaumenblau oder Magenta da hast. Satin oder Seide wäre gut.« Das waren Trillians Lieblingsfarben, doch das war natürlich nicht der Grund, weshalb ich danach fragte. Nein, ich doch nicht. Ich hatte schon halb entschieden, nicht wieder mit Trillian zu schlafen. Das war ein Fehler gewesen, ein wunderbarer, leidenschaftlicher Fehler, aber trotzdem... Andererseits hatte Delilah jetzt offenbar nichts mehr gegen Trillian einzuwenden. Verflucht, dachte ich. Warum konnte ich ihn nicht einfach ein für alle Mal gehen lassen?
Erin lächelte. »Ich habe ein paar Ensembles, die wie für dich geschaffen sind. Warte kurz.« Während sie durch einen Vorhang ins Hinterzimmer schlüpfte, ging ich die aufgereihten Kleiderbügel durch und betrachtete meterweise Spitze und Satin, Seide und feine Baumwolle. In mancher Hinsicht vermisste ich die Anderwelt, wo jedes Kleidungsstück einmalig war und von Hand genäht wurde. Niemand trug jemals genau das Gleiche wie jemand anders... aber die Stoffe und die Auswahl hier waren schon toll. Latexklamotten bekam man in der Anderwelt nicht, das war mal sicher.
»Suchen Sie etwas, das diese zauberhafte Figur kleiden würde?«
Verblüfft drehte ich mich um und starrte einen riesigen Mann an, der in einer bauschigen blonden Perücke über mir aufragte. Er trug ein hautenges, kurzes, orangerotes Paillettenkleid. Seine Haut war so gebräunt, dass er beinahe dunkelhäutig wirkte, und den rosa Lippenstift sowie den grünen Lidschatten hatte er offensichtlich dick mit dem Spatel aufgetragen. Er brauchte dringend eine umfassende Stilberatung.
»Mein Name ist Cleo Blanco«, sagte er. »Und Sie sind?« Er streckte mir die Hand hin. Ich bemerkte, dass seine Fingernägel länger – und wesentlich sorgfältiger manikürt – waren als meine.
Na, das war mal ein interessantes Zwischenspiel. In der Anderwelt gab es keine Drag Queens. Zu Hause gab es sexuelle Vorlieben in allen nur erdenklichen Geschmacksrichtungen, von lieblicher Vanille bis zur durchgeknallten Peperoni, aber nur sehr wenige Feen kleideten sich wie das andere Geschlecht. Natürlich war unser Kleidungsstil von vornherein etwas abenteuerlustiger als jener der
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